Nackt sind sie harmlos – Die Lulu im tik

Nackt sind sie harmlos - Die Lulu im tik. copyright: tik - Theater im Kino. Hannes Eisenhardt

Nackt sind sie ganz still. Zuvor versprachen sie Lulus kirschroten Mund gewaltsam einem anderem, wollten Lulu ertränken, mit ihr schlafen. Jetzt ist Lulu tot. Sie werden es auch sein. Frank Wedekinds „Lulu“ erfuhr im tik – Theater im Kino ein gnadenloses Update, das eine ganz andere Nacktheit zu Tage bringt. Die des Zuschauers.

Menschen in Zellophanfolie

Der Bühnenaufbau besteht zu Beginn aus gekrümmten, in Zellophanfolie gewickelten Menschen und einer kleinen Bühne, die seitliche Streben umgrenzen. Langsam befreien sie sich alle gewaltsam aus ihrer Hülle, bemalen ihre Münder, ihre Wangen, ihre Augen mit lasterhaften Rot. Jeder malt seine eigene Fratze aus Rouge oder Lippenstift. Zu viel. Zu rot. Jemand spricht auf Lulus Beerdigung. Keiner wusste, wer sie war. Jemand beschreibt ihr Aussehen.

Die vielen Namen der Lulu

Lulu, die geschaffen war, „Unheil anzustiften, zu locken, zu verführen, zu vergiften, zu morden, ohne dass es einer spürt“. Das freie Theaterkollektiv reduziert die Rahmenhandlung auf eine lose Collage aus Eindrücken: Ein Mann drückt Lulus Kopf so lange in einen Krug voll, bis sie fast keine Luft mehr bekommt, dann presst er ihren Mund an einen fremden Mund. Er taufte sie zuvor auf einen ihrer Namen. Sei es Eva oder Mignon oder Lulu. Jedes Mal dieselbe Prozedur. Der Name fällt, Lulus Kopf wird in das Wasser gedrückt, herausgezogen, an einen Mund gepresst. Die Brutalität schmerzt.

Die Lulu. copyright: tik - Theater im Kino. Tabea Panizzi und Nils Kirchgessner
Die Lulu. copyright: tik – Theater im Kino. Tabea Panizzi und Nils Kirchgeßner

 

Verschmelzende Körper

Später wird Lulu in einer Art Balletröckchen von einer Zuschauertribüne zur anderen gegenüberliegenden Zuschauertribüne rennen und laut „fick“, „fick“, „fick“ rufen. „Fick mich schön.“ Das wird sie später auch. In einer gespielten Gruppensexszene aus verschmelzenden Körpern und Mündern, sie alle werden lasziv zerdrückte Kirschen essen, Lulu wird vor Lust stöhnen, wenn ihr Körper mit Reis beworfen wird. Und sie wird laut und hysterisch ihren Geliebten anschreien, der sie umbringen möchte. Er wird es nicht tun.

Die Bühne wird zum Fitnessstudio, wenn eine der Darstellerinnen, nur mit Unterwäsche bekleidet, Muskelposen einnimmt, von einer Frau ist die Rede, die sich ihr Gesicht oft zerschneiden ließ. Beide waren auf der Suche nach dem perfekten Körper. Es ist schwer, darin Wedekinds „Lulu“ zu erkennen, die im Original eine befreundete lesbische Frau überredete, sich dem Athleten hinzugeben. Mehr erkennt man sich selbst als die Lulu. Den Optimierungswahn von Mann und Frau.

Mischung zwischen Klang-Performance und Theater

„Die Lulu“ frei nach Frank Wedekind ist eine Mischung aus Performance, Theater, Klang und Geräusch mit ungewöhnlichen Kostümen aus Zellophan und weißem Neopren. Die Kostüme entwarf Saskia Juliane als Nebenprojekt zu ihrer Bachelorarbeit. Juliane ist eine der 13 Künstler eines freien Kollektivs, das sich bei einem Treffen des tik – Theater im Kino zusammenfand. Auch Hariklia Woutsas ist eine von ihnen. Kurzerhand fragte sie ihren Kommilitonen Hans Eisenhardt, ob er nicht Lust hätte, mitzuspielen. Vier Mitglieder gehören dem Heidelberger Kreativteam an. Zwei von ihnen, namentlich Lea Langenfelder und Cornelius Thomas, übernahmen die Regie, den Text überarbeitete ihr Kollege Tim Fischer, Nils Kirchgeßner steht neben Huttenlocher-Adomeit und Tabea Panizzi auf der Bühne.

Finanziert hat sich das Team über eine Crowdfundingkampagne. Der Spruch „Wir brauchen ja selber Kohle, aber die DIE LULU gerade noch viel dringender. Also los, Schlüpper kaufen!“ erbeutete knapp 900 Euro. Die Schlüpfer landen später im Publikum. Wer möchte, darf sie als dreckige Erinnerung an ein Wagnis eines Kollektivs, das sich absichtlich zu weit aus dem Fenster lehnte.

Am 3. Mai wurde „Die Lulu“ zum vorerst letzten Mal in Berlin aufgeführt.

 

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