Zerstörte Puppe

My Talk with Florence. Verleih: Drop-Out Cinema

Das blutverschmierte Gesicht der Puppe lächelt naiv. Arme und Beine sind einbandagiert. Sie sitzt auf dem Schoß von Florence, die schon als Kind missbraucht wurde. Als Erwachsene wurde sie Teil der Kommune von Otto Muehl. Das war vielleicht sogar schlimmer.

Die Künstlerin Florence Burnier-Bauer wird 1949 in Paris geboren. Mit 17 Jahren flüchtet sie von zu Hause. Lässt ihren Großvater, ihren Vater, den Besuch einer Anstalt für geistig Kranke, Elektroschocks hinter sich. Sie vergisst ihre seelischen und körperlichen Lähmungen, die durch das Leid entstanden waren. Ohne festen Wohnsitz lebt Florence in Paris, wird drei Mal schwanger, raubt, bettelt für Milch oder Baguette, aber nur, wenn ihre Kinder sie nicht sehen. Da sie von der französischen Polizei gesucht wird, beschließt sie, sich mitsamt Kindern der Kommune des österreichischen Aktionskünstlers Otto Mühl anzuschließen.

Mehr Monolog als Interview

Ganz offen spricht Florence Burnier-Bauer über ihren Lebens- und Leidensweg. Nur manchmal hakt Paul Poet aus dem Off nach. Sie erzählt dann weiter. Es ist kein Interview, Poets Fragen treiben ihre Geschichte nur voran. Burnier-Bauers starker französischer Akzent mildert ihre harten Worte nicht. Als sie von Muehls Kommune erzählt, presst sie die Finger ihrer linken Hand aneinander. Selbst in diesem Moment spricht Burnier-Brauer mit großer Stärke weiter. Es scheint ihr gut zu tun, dass ihre Worte Gehör finden.

 

 

Ursprünglich Teil eines Theaterstücks

Die Wahlberlinerin prangerte 20 Jahre lang den Missbrauch zahlreicher Jungen, Mädchen, Männer und Frauen in Otto Muehls Kommune an. Freie Liebe galt in Wahrheit nur für Muehl selbst, der sich nahm, was er brauchte und wollte. Alle anderen mussten seinen Gesetzen folgen. „Gefickt wurde drei Mal am Tag.“ Wie Zähneputzen. Alles war durchgetaktet. Frühstück. Arbeit. Zeichenkurs. Sex. Abendessen. Sex. Schlaf. Nächtlicher Besuch. Sex. Selbst die Art, Sex zu machen wurde vorgeschrieben. Als der Regisseur und Theatermacher Paul Poet 2008 auf sie zukam, um einen Hintergrundfilm für sein Stück „Satan Mozart Moratorium“ zu produzieren, sagte sie zu. Der Film wurde so lang, dass ihn Poet nicht auf die Bühne brachte, sondern nun als ungeschnittenen Film – bestehend aus zwei Tapes – ins Kino bringt.

Hin und wieder wechselt die Kameraeinstellung, manche Zooms wirken etwas unmotiviert und unruhig. Das ist schade, denn die Geschichte funktioniert auch ohne Einstellungswechsel. Zwischen den zwei Tapes wechseln sich grelle Farben und alte Florence-Fotos ab. Es ist eine kurze Zwischenpause, um all das Gesagte zu verdauen. Dann redet Burnier-Bauer wieder weiter. Nach 60 Minuten endet das zweite Video abrupt. Für diese erschütternde Lebensgeschichte könnte es kein besseres Ende geben.

Auf Tour Alec Empire

Anlässlich der Filmpremiere von „My Talk with Florence“ am 13. Januar in der Volksbühne vertonte Atari Teenage Riot-Frontmann Alec Empire den über zweistündigen Monolog Burnier-Bauers. Die Musik hallt nach – so wie Burnier-Bauers erschütternde Geschichte. Seit 14. Januar läuft „My Talk with Florence“ in ausgewählten Kinos. Alec Empire und Florence Burnier-Bauer gehen gemeinsam auf Kinotour.

Am 23. Januar findet in der Volksbühne ein Kommune-Abend mit Theo Altenberg statt. Gezeigt werden filmische Parodien auf Andy Warhol, Vincent van Gogh und den Wiener Richard Gerstl, welche im „Bollywood im Burgenland“, Otto Muehls Kommune entstanden. Außerdem gibt es zwei begehbare 4-Kanal-Video-Installationen zum Thema Kommune.