Der Mensch als Daten­maschine

Der Mensch als Datenmaschine. Nervöse Systeme. Copyright: Kulturschoxx/Susanne Gietl

Sterben zahlreiche Wüstenrennmäuse in Forschungslaboren, dann lernen wir in der Regel nicht viel über uns selbst. Wenn sie Opfer des menschlichen Datenwahns wurden, sind auch wir nah dran an der Wüstenrennmaus. Über die sehenswerte Ausstellung „Nervous Systems/Nervöse Systeme“ im Haus der Kulturen der Welt.

Quantifiziertes Leben

Zurück zur Wühlmaus. 1970 wollte der Informatiker Nicholas Negroponte die Interaktion von Wüstenrennmäusen mit ihrer computerisierten Umwelt untersuchen. Er platzierte metallische spiegelnde Plexiglasklötze in ihrem Umfeld, die ein Roboterarm immer wieder verschob. Die Mäuse sollten die Klötzchen wieder zurechtrücken und Negroponte somit deren Interaktion messen. Doch Wüstenrennmäuse demolierten die Klötze und fielen aggressiv übereinander her.

„Künstler, die sich ernsthaft mit technologischen Prozessen auseinandersetzen, sollten vielleicht in Erinnerung behalten, wie es den entzückenden Wüstenrennmäusen erging,“*

schrieb der Kunstkritiker Thomas Hess in der Zeitschrift „Art Week“ über die Austellung. Wer hatte die Wüstenrennmäuse gefragt, ob sie in einer Welt aus Klötzen leben wollten? (*Thomas Hess „Gerbils Ex Machina“, in: Art News, Dezember 1970, S. 23)

Der Wert des eigenen Lebens 

Sie starben, da ihr Leben weniger wert gewesen war, als die Erfassung von Daten über ihr Leben. Zwar sind wir keine Wüstenrennmäuse, aber trotzdem sollte man sich fragen: Wie viel ist unser Leben wert, wenn wir nur unsere Daten zählen, aber nicht der Mensch als Inviduum? Wird der Mensch zur Datenmaschine?

Einblick in die Ausstellung "Nervöse Systeme. Quantifiziertes Leben und die soziale Frage" im Haus der Kulturen der Welt. Copyright: Kulturschoxx/SusanneGietl
Einblick in die Ausstellung „Nervöse Systeme. Quantifiziertes Leben und die soziale Frage“ im Haus der Kulturen der Welt. Die Anordnung folgt einem architektonischen Raster, dem Grid als Organisationsmodell für Wissen, Ordnung und die Neuorganisation des Lebens in der Moderne.

Virtuelle Lebenshilfe?

Wir messen unsere sportlichen Erfolge, geben unsere privaten Daten preis, um einfacher von A nach B zu kommen oder um den perfekten Lebenspartner zu finden. Oder man mietet sich einen „Invisible Boyfriend“ ab 14,99 Dollar monatlich. Die Kunden suchen sich anhand von bereitgestellten Selfies und Eigenschaften ihren virtuellen, imaginären Partner heraus. Von nun an täuscht er mit SMS und Voice Mails eine echte Beziehung vor. Manche der Kunden verliebten sich tatsächlich in ihn.

Data Mining durch Big Data

Dank solcher und anderer Spielereien wächst die Masse an Daten, die Big Data-Wolke wird immer größer. Die Ausstellung „Nervöse Systeme. Quantifiziertes Leben und die soziale Frage“ begreift das Nervensystem als Informationssystem und stellt technologische Netzwerke biologischen Systemen gegenüber. Soziale Muster dienen der Vorbeugung von möglichen Verbrechen, die Daten dienen als Mittel zur Profitsteigerung und werden immer und immer weiter ausgewertet (Data Mining).

Die Drohne als Freund und Helfer

In der zweisprachigen Ausstellung „Nervous Systems/Nervöse Systeme“ stehen nicht nur die Anfänge des Datensammelns und der Verlust von Privatsphäre durch datengestützte Mustererkennung und Zukunftsprognosen im Mittelpunkt, sondern auch deren Gegenbewegungen. Die !Mediengruppe Bitnik baute Julian Assanges Arbeitszimmer für „Delivery for Mr. Assange – Assange`s Room“ in London nach. 2013 schickte die !Mediengruppe Bitnik eine Postdrohne mit GPS-Empfänger an Assange, im Paket befand sich eine kleine Kamera, die im zehn-Sekundentakt ihre Umgebung fotografierte. 36 Stunden kommunizierte der Enthüllungsjournalist mittels kleiner Kärtchen mit aller Welt. Als nächstes sendete er das Paket weiter an den in Bahrain inhaftierten Menschenrechtsaktivisten Nabeel Rajab. Der erste Sendungsversuch scheiterte, die Spur der zweiten Sendung verlor sich in Dubai.

Digitales Handeln als System

Auf einem Plateau befindet sich der „White Room“ des Technical Collective. In vier Bereichen lädt das Technical Collective dazu ein, das eigene digitale Handeln zu überdenken. An der Bar beraten „Bar Workers“ an Samstagen, Sonntagen und Montagen über die Folgen von datengestütztem Aktivismus. Der „Something to Hide“-Tisch zeigt, wie man Daten wie beispielsweise von einem Fitnesstracker („UnfitBits“) verfälscht, „Big Mama“ (abgeleitet von „Big Brother“) beleuchtet Systeme der Musterkennung wie Gesichtsanalyse oder Datensammlungen über die Verbreitung von Krankheiten und „Normal ist Boring“ gibt Einblicke in Googlezentren oder Mark Zuckerbergs Haus. Wer wusste schon, dass Zuckerberg die ihn umgebenden Flächen dazukaufte, um nicht überwacht zu werden?

„Nervöse Systeme“ ist eine höchst informative und unterhaltsame Ausstellung, welche geschickt neueste Technik mit Kunst und Gesellschaftskritik verbindet.

 

Weitere Informationen

Die Ausstellung „Nervöse Systeme. Quantifiziertes Leben und die soziale Frage“ ist noch bis 9. Mai im Haus der Kulturen der Welt besuchbar.