Für einen kurzweiligen Abend braucht es nur ein Kartenspiel – oder Theaterregisseur Robert Lepage, der ein Stück darauf aufbaut.
Gemeinsam mit dem Ensemble der Schaubühne hat Lepage auf Basis der vier Spielkartenfarben das Stück „Glaube, Geld, Krieg und Liebe“ entwickelt. Dabei steht Kreuz für den Glauben, Karo für Geld, Pik für den Krieg und Herz für die Liebe. Entstanden ist ein fünfstündiger, dennoch kurzweiliger Theaterabend über Liebe, Kriegstraumata, Spielsucht und Familienschicksale zwischen Berlin, Paris, Wiesbaden und Baden-Baden, Afghanistan, Kalifornien, Dänemark und der Ukraine. Der Abend ist nicht nur wegen der sieben Schauspielerinnen und Schauspieler, die gemeinsam über 60 Rollen bestreiten, ein Erlebnis, auch das Bühnenbild spielt eine erhebliche Rolle.
Die eigentliche Bühne ist noch verborgen. Stattdessen hängen vor einem schwarzen Hintergrund vier vertikal zugedeckte Spielkarten. Als sich eine Karte umdreht, beginnt die Story mit Kreuz (Glaube), es folgen Karo (Geld), Pik (Krieg) und Herz (Liebe). Robert Lepage, der mit seiner 1994 gegründeten Theaterkompanie Ex Machina Theatergeschichte geschrieben hat, weiß, wie man (selbst banale) Ereignisse wirkungsvoll inszeniert. Die Karten, die als Intro jedes neues Teiles gezeigt werden, sind auf drehbare LED-Bildschirme projiziert. Mit Hilfe der Bildschirme reist man durch Raum und Zeit. Eben noch war man in Paris, schon ist man im Zug und gleitet an Landschaften vorbei, später besucht man eine Kunstgalerie. Manchmal verkürzt Livemusik die Reise durch acht Jahrzehnte.
LED- und Kostümzauber
Noch eindrucksvoller als der LED-Zauber sind die zeitlichen Verdichtungen. Ein Baby wird in einem Kloster abgegeben, reift unter der Obhut von sechs Nonnen zu einer jungen Frau (Alina Vimbai Strähler) heran und wird mit Köfferchen ins Leben geschickt. Das alles geschieht ohne Umbau an einem kleinen Tisch, selbst der Kleiderwechsel passiert geschickt vor den Augen des Publikums.
Dass Robert Lepage ein Kulissenzauberer ist, hat er unter anderem mit dem autobiographischen Stück „887“ (2017) beim FIND 2022 bewiesen. Der Frankokanadier präsentierte dort neben dem vergleichsweise kurzen Solo (zwei Stunden) auch das vielgelobte sieben-Stunden-Stück „The Seven Streams of the River Ota“ (Premiere: 1994, Neuauflage 2019) mit Hiroshima als Startpunkt. Nun also „Glaube, Geld, Krieg und Liebe“ in vier Handlungssträngen, die durch deutsche Nachkriegsgeschichte bis in die Gegenwart begleiten. An der Stückentwicklung war das Ensemble der Schaubühne ebenso beteiligt wie der Regisseur selbst.
Die Idee hatte Lepage schon früher
Als Lepage mit dem Projekt begonnen hatte, stellte ihm die Schaubühne zehn Ensemblemitglieder vor, er wählte nach einem fünftägigen Workshop sieben aus und legte ihnen ein Kartenset in die Hand. Jedes Ensemblemitglied sollte sich in Verbindung mit den Karten selbst einbringen. Es wurde viel improvisiert. Ensemblemitglied Damir Avdic entpuppte sich als früherer Kartenzauberer und brachte seine Vergangenheit mit ein. Lepage suchte viele Momente des wahren Lebens und verwob sie in seinem Stück.
Für Lepage ist die Vorgehensweise nicht neu. Bereits 2012 suchte der Frankokanadier gemeinsam mit Studierenden nach Geschichten für seine Theatercompany Ex Machina. Er wählte einen spielerischen Ansatz für seinen Uni-Workshop zu „Playing with Cards“. Gemeinsam zeichneten die Teilnehmenden seine Gedanken in eine große Skizze an die Tafel. Eines sei ihm wichtig, erklärte Robert Lepage den Studierenden: „Wir sollten nicht mit aller Gewalt Verbindungen schaffen, aber wir sollten sie zulassen.“ Passen dann zwei oder drei Assoziationen (Dinge) zusammen, könne man darin ein Muster erkennen und damit weiterarbeiten. Zur Aufführung brachte Lepage „Playing Cards: Hearts“ und „Spades“ (Pik). Kreuz und Karo sollten folgen.
Ein Erlebnisstrom, der bewegt
Es macht nichts, dass die Idee nicht neu ist. Gerne folgt man dem Ensemble, lässt sich in immer neue, oft unaufgeregte Szenen fast hineinsaugen, die menschlichen Schicksale und Traumata bewegen, die Texte werden gut vorgetragen. Da die Personen in ihren Handlungen und Gefühlen feststecken, ist es mehr Erzähltheater. Manche Nebenfiguren gehen auf der fünfstündigen Reise verloren. Bis wir uns im Jahr 2022 in der Ukraine befinden. Und da ist er wieder: Der Krieg.
Robert Lepages Erlebnisstrom funktioniert deswegen so gut, weil er genau weiß, an welchen Stellschrauben er gemeinsam mit Szenenbildnerin Ulla Willis für die perfekte Kulisse drehen muss. Das hervorragende Ensemble der Schaubühne macht den Kulissenzauber zur Nebensache. Währenddessen lässt sich das Publikum auf den (Kulissen-)Zauber ein und belohnt die gemeinsame Zusammenkunft lachend, staunend, betrübt.
Weitere Informationen
„Glaube, Geld, Krieg und Liebe“ in der Schaubühne, Regie: Robert Lepage, Bühne: Robert Lepage / Ulla Willis, Kostüme: Vanessa Sampaio Borgmann, Video: Félix Fradet-Faguy, Sound: Stefan Pinkernell, Dramaturgie: Nils Haarmann, Licht: Erich Schneider, Mit: Damir Avdic, Stephanie Eidt, Christoph Gawenda, Magdalena Lermer, Bastian Reiber, Stefan Stern, Alina Vimbai Strähler. Dauer: ca. 285 Minuten, inkl. zwei Pausen von 20 Minuten. Premiere war am 3. Oktober 2024. Mit freundlicher Unterstützung der Vertretung der Regierung von Québec und der Botschaft von Kanada.