Bin ich schön? Bin ich erfolgreich? Bin ich besonders? Darauf eine Antwort zu finden, war bisher unmöglich. Bis die sozialen Medien objektive Kriterien entwickelten und damit die Selbstinszenierung vorantrieben. Portfolio Inc. macht mit „Die Männerspielerin“ ein Stück darüber. Das besondere: Das Stück entwickelt sich ständig weiter.
Knallbunte Plastikwelt
Wir leben in einer Plastikwelt. Wer schön ist, hat viele Likes, wer erfolgreich ist, hat viele Freunde und wer besonders ist, viele Follower. Kommentare ersetzen wahre Begegnungen, Emoijis echte Emotionen und Filter machen selbst die einfachsten Erlebnisse zum knallbunten Event.
„Das ist nur ein Bahnhof!“ würde ich gerne schreien, doch dann wird mir bewusst, dass auch ich mein Internet-Ich inszeniere. Es ist einfach schöner.
Anais Nin, die Muse von Otto Rank und Henry Miller wäre, laut Regisseur Marc Lippuner „, würde sie heute leben, eine der ersten und aktivsten Bloggerinnen überhaupt.“
Wohl aus diesem Grund rief Marc Lippuner unter dem Hashtag #ichbinnin seine Follower auf, ihr Eindrücke auf Facebook, Twitter, Instagram festzuhalten, um sie dann in den Theaterabend einzuflechten. Ein spannendes Experiment und Grund für neue Selfies oder Darstellungen des eigenen Schaffens.
Sind wir nicht alle Nin? Wollen wir nicht alle die bestmögliche Version von uns selbst präsentieren?
Auch Offline geht das Experiment weiter. Vor der Vorstellung reichen Zuschauer ihre #ichbinnin-Gedanken ein, Passagen davon werden sie auf der Bühne hören. Und so vermischen sich unsere Gegenwart und die schillernde Vergangenheit von Anais Nin. Die amerikanische Schriftstellerin wurde 1903 in Paris geboren, mit elf Jahren siedelte sie gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren zwei Geschwistern nach New York um, arbeitete als Model und schrieb Tagebuch. Ihre Tagebücher veröffentlichte sie später. Die späteren Romane speisen sich aus ihrer Biographie und Phantasie.
“Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind, wir sehen sie so, wie wir sind.” (Anais Nin)
Judica Albrecht und Thomas Georgi bestreiten gemeinsam den Theaterabend. Sie ist „die Männerspielerin“, er, der verklemmte Otto Rank, Psychologie und Liebhaber der starken Frau. Sie spricht über sich, während er sich in die Darstellung ihrer selbst verliebt und durch sie sein neues Ich entdeckt.
Es ist ein lebendigeres Ich, eines, das tanzt, obwohl es nicht zu tanzen weiß, redet, obwohl es nicht zu reden weiß. Rank wirkt neben ihr wie ein Maulwurf neben einem Pfau. Die durchaus wortlastige Inszenierung von Marc Lippuner und Michael F. Störzer gelingt durch den Wechsel zwischen Komik und Kostüm, zeitgemäßer Gesellschaftskritik und auch durch das wandelbare Bühnenbild, das dem Gesehenen wie ein Instagram-Filter immer wieder etwas Neues einhaucht.
„Die Männerspielerin“ läuft am 30. Oktober im Theater unterm Dach.