Anne Imhofs Angst II: Irritation im Nebel

Anne Imhofs "Angst II". im Hamburger Bahnhof: Irritation im Nebel. copyright: Kulturschoxx/Susanne Gietl

Die Bahnhofshalle riecht nach künstlichem Nebel.  Menschen mit offenen Mündern starren ins Leere. Sie alle geben denselben Ton wieder, aber es ist kein Gesang, es ist mehr ein Mantra. Ein Mann filmt. Über mir schwebt eine Drohne. Beim Gedanken über meine Zukunft fürchte ich mich ein wenig.

Auf der Suche nach einem neuen Gott?

Beherrscht nicht vielmehr die Technik uns als wir sie? Ist die Technik unser Gott und unser Handy Teil unserer Religion geworden? Anne Imhofs Performance „Angst II“ hält uns selbst den Spiegel vor, indem sie ein spontanes Live-Spektakel jeden Abend aufs Neue inszeniert und per Handy dirigiert. Sie lässt Drohnen und Falken durch den Nebel fliegen, Tänzer ins Nichts laufen und nutzt den ganzen Raum, um große schwarz-weiße Bilder zu malen. Teils auf Leinwand, teils im Kopf.

Die Treppe zur Eingangshalle des Hamburger Bahnhofs ist abgesperrt. Kunstnebel erfüllt den Raum. Dann läuft eine Seiltänzerin auf das immer größer werdende Nichts zu. Weit über den Köpfen des Publikums tanzt sie auf dem Seil. Sie tastet sich Schritt für Schritt voran. Mir der linken Hand greift sie ein Seil, das von der Decke hängt, die andere Hand umgreift eine Art Schläger. Jeden Moment könnte die Tänzerin metertief stürzen und auf den harten Boden aufschlagen.

Auf der Suche nach Sicherheit

Ich werde unruhig, greife nach meinem Handy und filme die Seiltänzerin. Mein Telefon gibt mir Sicherheit. An meinem Telefon kann ich mich festhalten. Solange ich sie filme wird sie nicht fallen, denke ich. Sie fällt nicht. Verschämt stecke ich mein Handy weg. Dann tragen fünf PerformerInnen wie bei einer Leichenprozession eine schwarz gekleidete Frau über ihren Köpfen. Sie laufen die Treppe zur Bahnhofshalle hinunter, das Publikum folgt ihnen. Es wird nicht das einzige Mal sein, dass die Besucher mit ihnen den Raum durchqueren.

Später kommt ihnen eine Drohne zu Hilfe. Sie fliegt knapp über den Köpfen der Zuschauer, fliegt vor ihnen, weist ihnen den Weg. Eine einfache Tonfolge erklingt. Tiefe Chöre. Hohe Chöre. Mittelhohe Chöre. Einer der Performer verneigt sich, indem er beide Arme nach oben streckt. Auf dem Boden liegt das Mädchen, das einen Arm nach der Drohne auszustrecken scheint. Anschließend liegt die Drohne wie das Mädchen auf dem Boden.

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Angst II: Auf der Suche nach Zugehörigkeit

Imhofs „Angst II“ beschreibt die Suche nach Zugehörigkeit, nach Religion, einem Rhythmus und Bedeutung. Immer wieder folgen Besucher den Performern, umkreisen sie. Das Nichts verschlingt und umschlingt sie. Wie in einer Galerie sucht sich jeder Besucher sein persönliches Lieblingsbild und verweilt dort.

Die Bilder sind eindrucksvoll und doch bedeutungslos: Menschen, die sich gegenseitig rasieren, ein Tänzer, der sich immer wieder um seine eigene Achse dreht, ein Künstler, der mit einem dicken schwarzen Pinsel Striche auf eine weiße Wand malt oder eine Coladose nach der anderen öffnet, um sie schließlich zu vergießen. Ein junger Mann trägt ein Perlenarmband, Perlenohrring und einen weißen Falknerhandschuh. Der Falke wird nicht kommen. Ich denke über meinen Tag nach. Schade eigentlich. Ich will wieder zurück in die Szene und in den Nebel. Ich möchte die Performance wieder riechen, spüren, schmecken. Eine Frau neben mir raucht. Ein Mann bemerkt verärgert, dass sie dazu kein Recht habe. Sie setzt ihr Performancegesicht auf. Der Mann verschwindet im Nebel. Ich lächele.


Weitere Informationen

Teil eins wurde bereits in der Kunsthalle Basel aufgeführt, für den letzten Teil zieht Imhof auf die Biennale in Montréal. Am 25. September 2016 wurde „Angst II“ zum letzten Mal aufgeführt. „Angst III“ soll im Oktober 2016 im Rahmen der Biennale Montréal gezeigt werden.