Tanz im August 2016: Spiegelungen

Ein guter Auftakt für ein Festival, das die Grenzen unseres Denkens sprengt. JUCK-Tanz-im-August-copyright-Kulturschoxx-Susanne-Gietl

„Oh I’m just a girl, all pretty and petite so don’t let me have any rights“ sang Gwen Stefani 1995, 2016 sind es JUCK, die tanzend das heutige Frauenbild in Frage stellen. Ein guter Auftakt für das Tanz im August-Festival, das die Grenzen unseres Denkens sprengt.

Ein ungewohntes (Frauen-)Bild

JUCK, das sind vier schwedische Mädchen in Schuluniform: Schwarze Kniestrümpfe, weiße Hemden mit einer schlanken schwarzen Krawatte und rote Karohosen oder roter Karorock. Noch laufen sie einfach locker über den Vorplatz des HAU 1 – Hebbel am Ufer. No Doubts „Just a Girl“ nutzen sie als Intro für ihre Performance. Song für Song werden sie provokantiver. Dancehallmusik. Eines der Mädchen liegt auf dem Boden, über ihr tanzt das Mädchen im Rock. Ein ungewohntes (Frauen)-Bild. Doch darum geht es. Mit unbewegter Miene stoßen sie ihre Hüften im Takt der Musik immer wieder nach vorn, dann geht das berockte Mädchen direkt auf eine Frau im Publikum zu und blickt ihm/ihr direkt in die Augen als wollte sie sagen: Ich bin. Und zwar so, wie ICH möchte.

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Bewegung in unseren Köpfen und unseren Körpern

Das Tanz im August-Festival ist Bewegung pur. Nicht die Tänzer bewegen sich, sondern auch der Zuschauer bewegt sich mit. Es sind, so die Eröffnungsworte von Annemie Vanackere, der Intendantin des Hebbel am Ufer  „Arbeiten, die unsere Vorstellungskraft und unser Denken in Bewegung setzen werden. Nicht nur in unseren Köpfen, sondern auch in unseren Körpern.“ In solch unruhigen Zeiten erfahre man ein großes Gefühl der Hilflosigkeit: „Vielleicht hilft da nur, in Bewegung zu kommen.“ Virve Sutinen, die künstlerische Leitung des Tanz im August-Festivals, geht einen Schritt weiter. Ihr Rede beginnt sie in gebrochenem Deutsch: „Ehrlich gesagt, ist es an der Zeit, dass wir uns selbst den Spiegel vorhalten.“ Später springt die Finnin wieder ins Englische. Sie zitiert unter anderem die in diesem Jahr verstorbene Tänzerin und Choreografin Rosemary Butcher*: „I am not particulary interested in accessibilty, staying easy isn`t going to move anything.“ Wer immer nur verständliche Werke schafft, der wird nichts verändern. Beim Tanz im August-Festival geben so manche Performances Rätsel auf.

Auf Identiätssuche in der Kindheit

Beispielsweise die Performance der Kanadierin Dana Michel, die 2014 mit „Yellow Towel“ das Fachpublikum begeisterte. Als Kind trug sie immer ein gelbes Handtuch, um wie ihre Mitschülerinnen auch blonden Haare zu haben. Sie selbst ist schwarz. Auch in ihrem neuen Stück „Mercurial George“ setzt sie sich mit ihrer eigenen Identität auseinander. Michel performt mit nacktem Oberkörper, einer weißen, fast durchsichtigen Leggins und Sportschuhen. Sie war mal Läuferin. Jetzt aber kriecht sie über den schwarzen Boden des HAU 3. Es fällt ihr schwer, ihre Arme, ihre Beine zu bewegen, dann erreicht sie ihr Ziel: Zwei schwarze Säcke und eine Art Bank. Sie aber setzt sich auf eine Teekanne, die sie genauso mühsam hinter der Bank hervorholt. Dann beginnt sie, die Säcke auszuräumen.Es sind sonderbare Sachen darin: Petroleum, Tierköpfe zum Verschluss von Flaschen, ein Päckchen Reis. All das dokumentiert sie mit dem Mikro. Das kratzende Geräusch der Säcke bestimmt den Raum. Musik gibt es keine. Stattdessen murmelt sie etwas in einer Fantasiesprache, die etwas infantiles an sich hat.

Ich sehe schwarz und weiß

Im Laufe der Performance kreiert sie viele verstörende Momente. Kämpft immer wieder mit ihrem Körper oder gegen andere Kräfte. Einmal zieht mit aller Kraft an einer roten Schnur. Sie muss viel Kraft aufwenden, um einen weiteren schwarzen Sack zu sich zu ziehen. Es gibt keine Erklärung, warum sie etwas tut, das Publikum wird mit sich allein gelassen. Worte spricht sie fast keine. Nur als sie mit weißen Handschuhen an einer Art DJ-Pult mit vielen Mikrophonen steht kommen verständliche Worte aus ihrem Mund:  „Milk. Butter. Cream. Shake it. Milkshake.“ Spricht sie über Hautfarbe oder wirklich über Milchshakes. Nach und nach wird mir bewusst, dass ich immer und überall ihre Hautfarbe sehe und spüre. Selbst grüner Teig, in den sie weißes Mehl einarbeitet wird in meinem Kopf weiß. Wenn sie ihren Kopf in den Teig fallen lässt wird ihr Gesicht in meinem Geiste weiß. Doch tatsächlich passiert nichts. Sie behält ihre Hautfarbe und ich schäme mich.

 

Weitere Informationen

*Am 26. August wird der Werkkatalog zur letztjährigen Ausstellung „Rosemary Butcher. Memory in the Present Tense“ um 17 Uhr in der Bibliothek von Tanz im August, im zweiten Stock des HAU 2, vorgestellt. Butcher, die am 14. Juli überraschend verstarb, arbeitete fast am gesamten Katalog mit. Eine Herzensangelegenheit, so wie sie den Tanz lebte.

Dana Michels „Mercurial George“ wird noch bis Samstag an jedem Abend im Hebbel am Ufer – HAU 3 aufgeführt. Das Tanz im August-Festival läuft noch bis zum 4. September 2016.