Antidiskriminierung als Verkaufsargument?

Antidiskriminierung als Verkaufsargument?

Nachdenklich, aber auch vergnüglich ging es zu bei der Präsentation von w_orten & meer: Verlag für antidiskriminierendes Handeln. Besonders das Genderthema stand im Vordergrund. Ein Szenetreffen oder doch eine Einladung zur Diskussion? Katrin und Susanne im Kulturchat. 

Susanne: Schöne Idee, einen Verlag für antidiskriminierendes Handeln zu gründen, aber war der Abend auch integrativ genug?

Katrin: Ich finde schon. Frei nach Jayrôme Robinet, einem der Autoren, gesprochen. „Eins plus eins plus eins gleich uns alle“. Was meinst du?

Susanne: Jein. Findest du nicht, dass der Abend auch etwas ausgrenzend war?

Katrin: Ich hab mich nicht ausgegrenzt gefühlt. Es war toll, wie viele unterschiedliche Menschen da zusammenkamen.

Susanne: Ja und nein. Es war leutemäßig gut durchmischt, aber wenn so Begriffe wie „Cis“ oder „Trans-Diskriminierung“ fallen, glaube ich, dann grenzt das schon einige aus.

Katrin: Ich hab mich durch Jayrômes Monolog an die „Cis-Leute“ angesprochen gefühlt, das sind ja Fragen, die ich auch habe, was heißt „Trans“ genau? Nur als Frau oder Mann angezogen oder operiert? Das fragt man/frau ja dann nicht, aber es geht einem ja doch im Kopf herum.

Susanne: Ich hab mich gefragt, was nochmal der Begriff Cis bedeutet.

Katrin: Um Wikipedia zu zitieren: Cisgender bezeichnet Menschen, deren Geschlechtsidentität mit ihrem körperlichen Geschlecht übereinstimmt.

Susanne: Transgender ist das Gegenteil? Glaubst du, jeder hat das verstanden?

Katrin: Ich hab’s verstanden, er hat das ja ganz am Anfang in seinem Monolog genauso auch erklärt.

Susanne: Oh, da habe ich wohl gerade live getwittert.

Katrin: Ich fand die Bezeichnung jedenfalls interessant, hatte ich noch nie gehört. Irgendwie hört sich das allerdings auch nach  „falsch“ an, wie diss- oder miss-.

Susanne: Geht mir ähnlich. Ich finde es auch schade, dass all die Genderthemen noch angesprochen werden müssen. Integration ist erst dann erfolgt, wenn man es nicht mehr muss.

Katrin: Klar, viele haben schon von Gender Studies gehört, dass es das gibt, aber genau kann man sich darunter oft nix vorstellen, je persönlicher also desto besser.

 

JayromeCRobinet_copyright_SusanneGietl
Jayrôme C. Robinet_© SusanneGietl

Susanne: Es war schön, dass all die vorgestellten Texte extrem persönlich waren.

Katrin: Ja genau, wie fühlt sich jemand, der ursprünglich eine Frau war und nun als Mann den Eltern entgegenfährt, die noch nichts davon wissen…

Susanne: Du sprichst von Jayrôme Robinet? Das war schon wirklich sehr berührend. Erschreckend, wie viele Vorurteile in unserer Gesellschaft herrschen.

Katrin: Ja. Ich lese gerade Robinets Buch „Das Licht ist weder gerecht noch ungerecht“. Hätte ein anderer Verlag so etwas herausgegeben?

Susanne: Ich glaube, das geht nur auf Non-Profit-Basis.

Katrin: Obwohl es anscheinend ein Publikum dafür gibt, war ja voll im Südblock und die verkauften viele Bücher am Abend.

Susanne: Wobei der Südblock ohnehin für Integration sorgt. Mit Unisex-Toiletten. Tolle Idee übrigens.

Katrin: Ja, und ich hatte das Gefühl an dem Abend, man gewöhnt sich schnell auch daran, dass man manchmal nicht weiß, ob der Gesprächspartner Mann oder Frau ist.

Susanne: Wir hängen im Genderthema fest. Der Verlag steht für Anti-Diskriminierung. Emily Ngubia Kuria spricht über Hochschul-Rassismus. Verzettelt sich der Verlag damit?

Katrin: Nein, ich glaube eher, sie sichern sie sich so ihr ökonomisches Überleben. Anti-Diskriminierung spricht viele an.

Susanne: Also doch mehr Kalkül als Idealismus?

Katrin: Nein, ich hab ja lange mit Steff Urgast, verantwortlich für Lektorat und Marketing, gesprochen. Die stehen voll dahinter. Reich werden sie damit nicht.

Susanne: Schade, aber irgendwie beruhigt mich das auch. Ich finde es nicht schön, wenn man mit „exotischen“ Genderthemen hausieren geht.

Katrin: Nee, die hausieren nicht damit, die leben das.

Susanne: Find ich gut!

Katrin: Und ich empfand das Gespräch mit Urgast und den Abend nicht als aufdringlich, sondern eher wie ein Angebot an alle, sich damit auseinanderzusetzen.

Susanne: Leider ist die Diskussion erst am Anfang, aber mit w_orten & meer wieder ein Stückchen größer geworden.

Katrin: Die Bücher spiegeln ja auch wider, was jetzt Realität ist: dass Menschen wirklich ihr Geschlecht wechseln können.

Susanne: …und damit an die Öffentlichkeit gehen.

Katrin: Ich bin gespannt, wie sich w_orten & meer entwickeln – ein Buch erscheint dieses Jahr noch. Vielleicht zum Thema körperliche Behinderung, das steht auch im Programm.

Susanne: Irgendwas Integratives? Ja, warum nicht? Ich freu mich schon.

w_orten & meer nehmen an der 17. langen Buchnacht in der Oranienstraße am 30. Mai teil.

 

Über das Format

Youtube, Twitter, Facebook. Keine Botschaft ist länger als 140 Zeichen, die Aufmerksamkeit sinkt schon nach einer Minute. Ist es dann noch zeitgemäß, Abhandlungen über Theateraufführungen zu schreiben? Monologe über sich selbst oder seitenlang über ein Thema zu philosophieren? In den Zeiten von Chat, Multitasking und schlauen Telefonen liegt die Würze immer mehr in der Kürze. Deswegen chatten Katrin und ich einfach mal über ein Thema. Keiner hat mehr als 140 Zeichen Platz, aber jeder hat viel zu sagen und los geht der Schlagabtausch. Der Kulturchat wird in unregelmäßigen Abständen auf Kulturschoxx erscheinen. Die Idee ist aus einem Chat mit Petra von Schenck und mir entstanden.

 

Über die Autorinnen

Katrin Schielke, geboren 1964 in Berlin, machte ihre Ausbildung zum größten Teil in Frankreich – als Literaturwissenschaftlerin, Kulturarbeiterin und Pädagogin. Sie unterrichtet und schreibt als freie Autorin in Berlin.
Susanne Gietl, geboren 1980 in München, arbeitete bereits während ihres Germanistikstudiums in Print, TV und Hörfunk. Nach abgeschlossenem Volontariat in Berlin fand sie an der Spree ein neues, inspirierendes Zuhause. Sie ist freie Kultur- und Gesellschaftsjournalistin in Berlin und twittert unter @GeatlS gerne live über Veranstaltungen.

w_orten_und_meer_snapshot_aus_dem_verlagsprogramm

Über den Verlag

Der Verlag w_orten & meer wurde von Lann Hornscheid, Prof. der Linguistik und Gender Studies gegründet, Steff Urgast ist verantwortlich für Management und Lektorat. Die Verlags- und Book-Release-Party fand am 22. Mai im Berliner Südblock statt. Drei Titel stellt der Verlag anhand von Kurzlesungen vor: Jayrôme C. Robinet „Das Licht ist weder gerecht noch ungerecht. theatermonolog. kurzgeschichte. lyrische prosa“, Emily Ngubia Kuria „eingeschrieben. Zeichen setzen gegen Rassismus an deutschen Hochschulen“ und Rae Spoon & Ivan E. Coyote „Goodbye Gender“.

 

Hörproben von w_orten & meer