Interrobang: Im Höllenchat

Chat-Inferno. Copyright: Renate Chueire
Im "Chat-Inferno" führt der Abwärtskreisel direkt in die (Chat-)Hölle. Copyright: Renate Chueire

Partizipatives Theater verlagerte sich durch den Lockdown in den digitalen Raum. Zwei Jahre später experimentiert Interrobang in „Chat-Inferno“ mit digitaler Kommunikation im virtuellen und realen Theaterraum des Hebbel am Ufer.

Quo vadis, digitales Theater?

Wie funktioniert digitales Theater? Als zu Beginn der Pandemie die Theaterhäuser schlossen, sah man vor allem abgefilmtes Theater.

Doch, wenn wir selbst nicht entscheiden können, wohin unser Blick schweift, weil eine Filmkamera uns die Entscheidung nimmt, wenn die Aufmerksamkeit leidet, weil der Postbote* gerade klingelt, während das digitale Theater auf dem Bildschirm läuft, wenn der Raum sich nicht über die TV-Bühne ausdehnt und somit die eigenen Energien auch die einzigen im Raum bleiben, spätestens dann sollte man darüber nachdenken, ob man digital das reproduzieren sollte, was man real erlebt oder die Digitalität als Chance für neue Theaterformen sehen sollte.

Gleichzeitigkeit und Onlineabstimmung

Gleichzeitigkeit war zum Beispiel eines des Mittel des digitalen Theatertreffens. Was vor Ort eine Selbstverständlichkeit ist, ist bei digitalen Formaten oft nicht der Fall. Viele nicht analoge Aufführungen sind zu jeder Tages- und Nachtzeit verfügbar, womit der exklusive Charakter wegfällt. Zudem wurde zum Theatertreffen ein Chat eingerichtet, über Emojis konnten Publikumsstürme erzeugt werden, teilweise fand eine Parallelunterhaltung im Chat statt, die dem Abend eine ganz andere Dimension gab.

Andere, wie Christopher Rüping („Dekalog“) oder später auch Interrobang („Familiodrom“) nutzten den Chat für Abstimmungen über den Verlauf der Handlung. In „Familiodrom“ übernahmen Theaterzuschauer* eine digitale Elternschaft, Erziehungsfragen wurden digital abgestimmt und bestimmten über den Verlauf der Handlung.

Kopfhörer und Tablet im Publikumsraum

All diese Erfahrungen fließen in Interrobangs „Chat-Inferno“ ein. Ausgehend von Dantes erstem Teil der „Göttlichen Komödie“ schicken die Performer* die Theaterbesucher* in die Chat-Hölle. Jeder Besucher*, mit Kopfhörer und ein Tablet ausgestattet, bekommt über den Bildschirm Anweisungen und Fragen gestellt, eine Stimme mahnt „Ab jetzt gibt es kein Zurück mehr“. „Gehörst Du zu der Gruppe der Geizigen oder zu den Verschwender:innen?“

Die Performance, erklärt Nina Tecklenburg von Interrobang später, werde von vier apokalyptischen Reitern getrieben: Pandemie, Krieg, Klima- und Finanzkrise. Ganz dem Zufall überlassen Interrobang den Performanceverlauf nicht. Im Gegenteil: Durch geschickte Kommentare von so genannten Influencer*n entwickelt sich der Chat in die gewünschte (Höllen-)Richtung. Allerdings halten sich die eingeweihten Chattenden im Hintergrund und greifen nur sanft in die Konversation ein.

Chatten als hybride Theaterform

Durch die Dauerbeschallung und die vorgegebene Laufrichtung ist der Kontakt zu anderen Anwesenden nur eingeschränkt möglich. Bis zum Ende der interaktiven Performance ist das Publikum durch anonyme Chatsituationen miteinander verbunden. Außerdem können sich Webseitenbesucher* des Hebbel am Ufer in den Chat einklinken. Letztlich ist der Chat ein Stück im Stück im shakespeareschen Sinne.

Was nach simpler Technologie klingt, ist in Wahrheit ein ausgeklügeltes System. Im Publikumsgespräch verrät Florian Fischer, der den Höllen-Chat technisch umsetzte, wie groß die Herausforderung wirklich war. Das „Chat-Inferno“ basiert auf knapp 20 Webseiten. Davon sorgen acht Leinwände für ein apokalyptisches Bühnenbild, auf weiteren Webseiten wird gechattet, Umfragen und andere Tools werden auch als Webseite umgesetzt, die alle auf einer cloudbasierten Lösung zusammengeführt werden. Je nachdem, wie man sich entscheidet, ändern sich die Erzählinhalte auf den Kopfhörern. Und da ist ist wieder, die Angst, etwas verpasst zu haben.

Am Ende befindet sich das Stück in einer scheinbar endlosen Chat-Schleife. Aber mal ehrlich: Wurde nicht genau dieses Versprechen durch den Titel gegeben?

Weitere Informationen

„Chat-Inferno“ von Interrobang wurde im Rahmen des „Spy on Me #4“-Festivals im Hebbel am Ufer von 30. September bis 3. Oktober aufgeführt. Beim „Spy on Me“-Festival kommen digitale Geräte und Programme als Theatermittel zum Einsatz. „Spy on Me“ läuft noch bis 7. Oktober.