Hamlet, Orpheus und Carmen an einem Abend und zur Entspannung etwas Studio-Braun-Trash? Bei der vierten „langen Nacht der Berliner Opern und Theater“ präsentierten 57 Bühnen ein sattes Kulturprogramm. In 20-minütigen Ausschnitten fanden Schauspiel- und Opernpremieren an bekannten Orten und ganz neuen Kulturlocations statt. Der ein oder andere Veranstaltungstipp für die Zukunft ließ dort leicht aufschnappen.
Los gings mit Georges Bizets Carmen in der komischen Oper. Feuerige Flamencotänzerinnen trafen auf betrunkene Polizisten. Das Orchester spielte dazu die „Habanaise“ und „Auf in den Kampf, Torrero“. Als Bühnenbild diente eine heruntergekommene Santanderbank mit begehbarem Dach, auf der zwei Gitarrenspieler postiert waren. Ein guter Anfang, aber Peaches l`Orfeo im Hebbel am Ufer überzeugte viel mehr. Im 17. Jahrhundert schrieb Claudio Monteverdi mit „l`Orpheo“ eine der ersten Opern, Regisseur Daniel Cremer gibt der Oper einen modernen Anstrich. In knappen Hemdchen, hautfarbenen Strumpfhosen und Highheels treten Orpheus und Eurydike gemeinsam mit Speranza und Messagera auf. Sex liegt in der Luft und dann beginnt Eurydike zu singen. Elektrische Verstärkung und Verzerrung der Instrumente rückt die barocke Oper in den Popkontext, statt eines Kastraten übernimmt Peaches die Rolle des Orpheus.
Kulturelle Achterbahnfahrt führt zu Fremdschämtränen bei der Langen Nacht der Opern und Theater
Nach solch hoher Kunst fiel ich mit Studio Brauns „Fahr zur Hölle, Ingo Sachs“ im Deutschen Theater tief. Eine Mischung von Michael Winners „Ein Mann sieht Rot“ und Heinrich von Kleists „Michael Kohlhaas“ soll den Erfolg für das Retro-Action-Musical des bekannten Trios alias Heinz Strunk („Fleisch ist mein Gemüse“), Rocko Schamoni („Dorfpunks“) und Jacques Palminger garantieren. Lachtränen vergießt der Zuschauer wohl eher aufgrund der platten Filmbusiness-Gags und den musikalischen Gesangsleistungen, die vergeblichen Bemühungen im Sportunterricht ähneln. Immerhin erinnern die instrumentalen Parts an Actionfilme wie „Shaft“, das Filmset zwischen Hochhaus und Bahnhofstoilette passt wie die Faust aufs Auge und Ole Lagerpusch als Arschloch-Regisseur macht das Stück zum Trash-Movie. Zeit für Hochkultur in der „Schaubühne“, damit der laue Nachgeschmack des Kultur-Fast-Foods einem großartigen Dessert weicht. Rechnung geht auf.
Dramaturgische und schauspielerische Meisterleistung auf einer Bühne aus Erde
Mit Shakespeares „Hamlet“ in der Schaubühne stellt die Schaubühne die kulturelle Krönung des Abends dar. Die Regie führt Thomas Ostermeier, Lars Eidinger übernimmt die Hauptrolle. Besonders bemerkenswert ist das Bühnenbild, das aus einem riesigen Torfbeet und einer fahrbahren Festtafel besteht- getrennt von einem Vorhang aus goldenen Eisenketten. Eidinger spielt bis zur Selbstaufgabe, fällt immer wieder in den großen Erdhaufen, in dem sein Vater begraben ist. Er filmt seine Umwelt, greift eine Person aus der Menge, zoomt heran, der Vorhang zeigt die charakteristischen Großaufnahmen. Dann erscheint der blutige tote König, der eben noch sein Bruder war, die Krone „Hamlets“ wird zur Narrenkappe und der Wahnsinn nimmt seinen Lauf. Doch dies eine andere Geschichte, die in der langen Nacht der Opern und Theater leider nicht zu Ende erzählt wird. Schließlich wartet der nächste Programmpunkt: Die Abschlussfeier am Rosa-Luxemburg-Platz, bei der alle Kulturinteressierten plötzlich selbst zum Star des Abends werden – bei einem Tanz auf der Volksbühne.
Die Spielzeiten der einzelnen Stücke: Peaches „l`Orpheo“ läuft am 01.-05. Mai sowie am 07. Mai im Hebbel am Ufer, George Bizets „Carmen“ wird am 3. Juli in der komischen Oper aufgeführt, Studio Brauns „Fahr zur Hölle, Ingo Sachs“ kann man am 3. und 17. Mai sehen und Shakespeares „Hamlet“ wird am 06. und 10. Mai in der Schaubühne gespielt.