Weinende Winkekatzen, ein Elektroporno und ein mobiles Museum über Kannibalismus. Bei den diesjährigen Tanztagen war alles möglich. Auch klassischer Tanz.
Markenwerbung oder Tanzperformance?
Am Eröffnungsabend der diesjährigen Tanztage rappen und singen António Onio und Bráulio Bandeira für „Savannah“ in Markenkleidung. Im rückblickenden Trailer von Walter Bickmann wirkt das wie ein Low-Budget-Werbespot in einer fiktiven Wüste.
Aline Landreau stützt sich in „Vox“ ganz auf ihren Körper und ihre Stimme. Es sind tierische, fast übernatürliche Laute. Ihre Bewegungen wirken mal katzenhaft und elegant, mal abgehackt und fremd. Die Entdeckung des Abends ist Roderick George.
Meister in Sportsocken
Ausgerechnet graue T-Shirts und Männer in Tennissocken machen den Abend glanzvoll. Vier grau bekleidete Männer, darunter Roderick George, ehemalige Tänzer der Forsythe Company, kombinieren in „Dust“ meisterhaft Hip Hop mit Voguing und Ballett.
Gehäutete Tesafrau
Durchwachsen geht es nach dem Eröffnungsabend weiter. Auch dieses Jahr ist die Experimentierfreude sehr groß. Oft verlieren sich die Ideen im Chaos. Rodrigo Garcia Alves „Studio Disorder`s La Maison Baroque“ ist konfuses Länderhopping ohne Tiefgang. Die Ursprungsidee, von Europa nach Lateinamerika in fünf Stationen zu reisen, verliert sich in wildem Ideenchaos.
Eine vollständig in Tesafilm eingewickelte Frau tanzt über die Bühne, dann wird sie von einem Mann im schwarzen Barockkostüm aufgeschnitten, während ein Mann und eine Frau – ebenfalls in barocken Kostümen gekleidet- einen Text über Kannibalismus vorlesen. Später wird der Barockmann ein Kreuz aus seinem Allerwertesten ziehen und mit teuflischem Lachen auf portugiesisch singen, welch unanständige Dinge er mit Freud anstellen würde.
Netterweise übersetzt eine Frau aus dem Publikum die sexuellen Fantasien. Das Chaos im Kopf wird immer wilder. Eine Frau singt, ein Bild auf der Bühne hüllt Menschen in Stoff, neue Verkleidungen, neue Eindrücke. Amüsierte Gleichgültigkeit ersetzt kulturelle Neugierde.
Tanz als Narrativ?
Mit nur drei Minuten in fast völliger Dunkelheit überzeugte Kareth Schaffer bei den Tanztagen 2014. Blitzartige Eindrücke erzählten ihre ganz eigene Geschichte. Die diesjährige Performance „An Animal went out“ beschäftigt sich damit, wie man Tanz als Narrativ lesen kann. Letztlich sind es eher unterhaltsame Kurzgeschichten, als ein zusammenhängender Bewegungsroman.
Japankultur im Kinoformat
Rocio Marano und Lea Kieffer machen in „Los Ninjas – Matter of Blood“ großes Kino. Ein wenig erinnert ihre Japanperformance an Miss Revolutionary Idol Bersekers Stück „Noise and Darkness“. Aber anders als Toco Nikaido, die hinter dem ganzen Chaos steckte und mit ihrem Team nicht nur das Publikum mit Algen bewarf, sondern sie durch permanente Reizüberflutung Teil der otaku-Fankultur werden ließ, gehen Marano und Kieffer einen dezenteren Weg. Sie teilen die Performance in kleine Eventhäppchen vielleicht sogar in Jahreszeiten auf. Schließlich beginnen sie im Wintermantel, Zitronen fallen später von der Decke und dann grüne Verpackungschips. Sie erinnern an den Frühling. Vielleicht. Oder doch Fukushima? Daran dachte mein Sitznachbar.
Bewegungskomik deluxe
Besonders, wenn die zierliche Marano auf der normalgewichtigen Kieffer sitzt und die erschlafften Glieder ihrer Kollegin so zurechtrückt und schiebt, dass sie auf ihr herumklettern kann und später, wenn Marano auf Kieffer wie auf einem Kamel reitet – Kieffer streckt ihre Füße nach oben, die zierliche Marano sitzt darauf und mit ihren Händen bewegt Kieffer Maranos Biene – zeigt sich die Stärke der beiden Frauen: Sie machen Bewegungskomik. Aber das allein reicht den beiden nicht.
Überraschungen von oben
Im Laufe ihrer Performance schleppen sie so einiges an. Bunte Kunsthaarperücken, lange Schlangen aus Plastik und einen großen Winkekatzenkopf. Für Spezialeffekte sorgen an den Decke befestigte Säcke, die sich dann öffnen, wenn es Zeit für einen neuen Akt ist. Sie kämpfen tarantinohaft bis „ihre Augäpfel den Berg hinunterrollen“, bis beide nur noch wenige Gliedmaßen besitzen. So spielen sie es jedenfalls und als Marano erst ihr Gesicht zeitlupenhaft zum Zerrbild eines Popstars verfremdet und die beiden Frauen Teil eines Videospiels werden, ist der Film genauso unverständlich wie sie wohl die japanische Kultur sein mag. Aber unterhaltsam war die Performance allemal. Auch für Nicht-Tarantino-Fans.
Soundrecherche als Elektroporno
In der Rückschau fehlt noch der versprochene Elektroporno. Anfangs ist „This is a Musical“ eine große Soundrecherche: Karol Tyminski tastet seinen Körper mit dem Mikrophon ab. Er scheint alles zu tun, um einen guten Sound zu erzeugen, lässt sich vor- und zurückfallen, ächzt, stöhnt und fällt mit flachem Körper auf harten Untergrund. Dann spielt er den eben produzierten Sound ab und macht weiter.
Immer irrsinniger werden seine Bewegungen. Als er zitternd mit dem Mikrophon im Mund auf dem Boden liegt, hat das etwas rauschhaftes. Irgendwann tanzt er zu seinen eigenen Beats und schreit ins Mikro. Er verlässt die Bühne und sein Körper wird zum Instrument der Pornoindustrie. Auf einer Leinwand hat Tyminski brutalen Sex mit einem menschlichen Umriss, der in allen Farben schillert. Pornorausch deluxe. Leider zündet die Botschaft der Performance nicht.
Knallbuntes Festival
Neben cineastisch-skurrilen Performances und Sound- wie auch Bewegungsrecherchen sollte der kulturelle Austausch mit Mexiko klar im Fokus stehen. Zum ersten Mal arbeiteten die Tanztage mit dem Julius-Hans-Spiegel-Zentrum zusammen, um Exotismus im Tanz zu erforschen, aber mehr Aufmerksamkeit erfuhren die Nachwuchskünster, die sich gern um sich selbst drehten. Letztlich zeigten die diesjährigen Tanztage, dass es dem Nachwuchs nicht an Ideen mangelt. Die Struktur allerdings müssen viele noch für sich entwickeln.
Die Tanztage in den Sophiensaelen endeten am 17. Januar, die Ausstellung des Hans-Spiegel-Forschungszentrums war bis 31. Januar zugänglich.