Ein vielfältiges „Tanz im August“-Festival geht zu Ende. Für den einen fast lautlos, für den anderen mit Pomp und Trara. Stephanie Thiersch und Brigitta Muntendorf wählen mit „Archipel“ eine klingende Utopie, der brasilianische Tanzkünstler Thiago Granato hingegen macht Stille hörbar.
Räume durch Achtsamkeit
Acht metallene Säulen unterteilen den Tanzraum von Granatos „The Sound That No One Listens“ in den Sophiensaelen . Drei Tänzer* teilen sich die Bühne, jeder von ihnen trägt einen körperlangen Stock. Sie könnten sich, um einander keinen Raum wegzunehmen, trennen und doch wählen sie den anderen Weg. Gemeinsam versuchen sie, durch mal schlängelnde, mal kriechende Bewegungen aufeinander zu achten.
Der Klang der Schwere
Die Stöcke nehmen sie zur Seite, heben sie über ihre Körpermitte oder ganz hoch über ihren Kopf. Mühsam balancieren sie die langen Rohre, während das sanfte Flöten der hohlen Stöcke den Klang des Raumes bestimmt. Immer wieder ordnen sich die Performer* neu an, suchen ihre neue Position. Das ist gar nicht so einfach, denn die Metallstäbe sind sehr unhandlich. Sie halten sie wie ein Schwert, fíxieren sie an ihren Enden zu einem ganz langen Stabgebilde und trennen sie wieder. Als sie sich schließlich von den Stöcken lösen, bemerken sie, dass die Schwere von ihnen ausgeht.
Thiago Granatos „The Sound They Make When No One Listens“ stellt die Frage, was passieren würde, wenn wir unser Handeln so aufeinander abstimmen würden, dass wir alle Raum füreinander hätten. Hätten wir dann mehr oder weniger Raum?
Ein Archipel für neue Lebensformen
Stephanie Thiersch und Brigitta Muntendorf leben eine ganz andere Utopie. Sie erschaffen ein „Archipel – Ein Spektakel der Vermischungen“, um in einer völlig neuen (Klang-)Welt jeder Lebensform Platz einzuräumen. Was auf einer dunklen Bühne in den Räumen der MaHalla beginnt, wird später zu einem bunten Fest.
Das futuristische Design stammt von Sou Fujimoto. Gerne lässt sich der Architekt von organischen und natürlichen Strukturen wie Höhlen oder Wäldern inspirieren, um kommunikative Orte zu schaffen. Teilweise funktionieren die unterschiedlich großen Tableaus auch als neuartige Musikinstrumente: Unter einer Scheibe befindet sich ein gläsernes Windspiel, eine andere erzeugt einen Ton, wenn sie schwingt, eine andere funktioniert als Schlagzeug. Durch Mikrofone wird selbst der leiseste Ton sehr laut.
Im Laufe der Performance erfährt das Objekt viele (Ver-)wandlungen. Es ist Rückzugsort, animalische Gefahr und atmendes Organ. Die Körper verknüpfen sich miteinander, das Gebilde verwächst mit ihnen. Stephanie Thiersch selbst beschreibt Archipel als „eine Art Utopie, einen Planeten, einen Raum, den es noch zu erfinden gibt, in dem andere Dinge passieren können, in einem anderen Licht, in einem anderen Zusammensein.“
Thiersch und Muntendorf feiern ein „Spektakel der Vermischungen“ mit Licht- und Schattenspiel, wilden und sanften Bewegungen, ausgefallenen Kostümen und neohumanoidem Orchester, Bis das Gefühl der Faszination weicht und eine zarte, eindringliche Melodie erklingt.
Weitere Informationen
Thiago Granato „The Sound They Make When No One Listens“ wie auch „Archipel“ von Stephanie Thiersch und Brigitta Muntendorf wurden am Abschlusswochenende von „Tanz im August“ gezeigt. Das Festival fand von 6. bis 22. August 2021 statt. Insgesamt 14 Produktionen wurden In- und Outdoor gezeigt, unter anderem: Colette Sadler „ARK 1“ und Milla Koistinen „Breathe“.