Rückblick 2023: Der Masterplan

Beim LUX Award im Europäischen Parlament. Foto: Susanne Gietl/Kulturschoxx
Beim LUX Award im Europäischen Parlament. Foto: Susanne Gietl/Kulturschoxx

Meine Biolehrerin hat immer gesagt: „Mehr wie falsch kann`s auch nicht sein,“ wenn sich niemand im Unterricht melden wollte. Ihre Worte begleiten mich heute noch. Ich lernte durch sie, neue Dinge auszuprobieren und bin dadurch gewachsen. Dieses Jahr war ich zum allerersten Mal in meinem Leben zu 100 Prozent freiberuflich tätig, ohne Brotjob und ohne doppelten Boden. Es kostete viel Energie und Zeit, aber allem voran viel Mut und einen Masterplan.

Viel Erfahrung – wenig Plan

Vor elf Jahren nahm ich an der 21-Tage-Challenge von Erfolgscoach Karin Wess zum ersten Mal teil. Eine der ersten Fragen, die sie stellte, öffnete mir die Augen.: „Was ist Dein Ziel?“ Wenn ich jetzt schreibe, dass ich keines hatte, dann entspricht das leider der Wahrheit. Ich hangelte mich zu diesem Zeitpunkt zwar von (Medien-)Kompetenz zu (Medien-)Kompetenz.

Ich hatte viel Radio-, Schreib- und Interviewerfahrung, hatte zudem gelernt, wie man eine Webseite mit WordPress einrichtet und umsetzt, Kenntnisse in Onlinemarketing, Marketing („Online Marketing Consultant“) sowie ein bisschen in BWL. Wann ich genau welchen Schritt machen wollte, um erfolgreich als Kultur- und Radiojournalistin zu arbeiten, dafür fehlte mir der Masterplan.

Der Masterplan steht – auch beim Moderieren

Um es abzukürzen: Letztes Jahr habe ich schon einige Weichen gesellt und dieses Jahr damit weitergemacht. Ein einfacher Trick: Ich habe „wünsch Dir was“ gespielt. Diese wünsch-Dir-was-Einstellung macht Spaß. Wenn es beispielsweise mein Wunsch ist, „auf einer Bühne zu stehen“, wie cool ist es dann, die entsprechende Bewerbung dafür abschicken zu können? Und so moderiere ich seit diesem Jahr für Theaterscoutings Berlin Publikumsgespräche in der freien Theater- und Performanceszene.

Bei der Hochzeit von einem meiner besten Freunde leitete ich „Romantikübungen“ an. Braut und Bräutigam stellten berühmte Filmszenen nach. Der Höhepunkt war natürlich „Dirty Dancing“. Ein großer Spaß. Dass ich für radioeins über die letzten „Autor:innentheatertage“ unter der Leitung von Ulrich Khuon im Deutschen Theater berichten durfte, war ein anderes Highlight für mich und für nd über Anne Teresa de Keersmaekers „Exit Above“ bei „Tanz im August“.

Zum ersten Mal in der Berlinale-Jury

Wie jedes Jahr – seit 2013 – berichtete ich über die Berlinale. Dieses Jahr war ich zum ersten Mal Jurymitglied für den Fipresci-Preis: In gemeinsamen Diskussionen bestimmten wir in einem internationalen Team den diesjährigen Gewinner des Fipresci-Preises in der Sektion Forum (hier geht’s zum Artikel über die diesjährige Forum-Sektion). Dass ich auf der Berlinale die Möglichkeit hatte, mit Cate Blanchett über ihren Film „Tár“ zu sprechen und mit Aleksandar Skarsgard über den Science-Fiction-Horror-Film „Infinity Pool“, sollte den Auftakt eines aufregenden Jahres bedeuten.

Danach folgten u.a. Interviews mit François Ozon („Ein fabelhaftes Verbrechen“), Timm Kröger („Die Theorie von Allem“), Marco Bellocchio („Die Bologna-Entführung“) und Luc Besson („DogMan“). Und die mittlerweile ehemalige Chefin des Filmfests München Diana Iljine. „Stellt Euch niemals nur mit dem Vornamen vor!“ rät sie allen Frauen. Kann ich nur unterstreichen.

Einladung zum LUX Award in Brüssel

Für die Verleihung des LUX Audience Awards reiste ich direkt vom Filmfest München nach Brüssel, Lukas Dhonts „Close“ setzte sich gegen „Triangle of Sadness“, „Burning Days“, „Irrlicht“ und „Alcarràs“ durch. „Close“ wurde nun für Menschen mit Seh- und Hörbeeinträchtigung adaptiert und in den EU-Ländern beworben. Es gibt übrigens hier die Möglichkeit, für den nächsten LUX Audience Award abzustimmen.

Weniger weit reiste ich für den „Prix Europa“, der jährlich die besten Medienproduktionen auszeichnet. Besonders beeindruckt hat mich Sarah Seekirchers Podcast „Die Geschichte der Ascher-Schwestern“ über zwei entfernte Verwandte, die aus unbekannten Gründen Selbstmord begangen haben. Im Laufe des Podcasts lernt man nicht nur viel über Recherche, sondern auch über sensible Berichterstattung.

(Podcast-)Liebe – hörend und schreibend

Auch richtig gut ist Ole Martin Hafsmos Podcast „Shit Town, Trondheim“ über seine verarmte Mutter, Hafsmo tritt immer den richtigen Ton und wurde dafür als beste Dokumentarserie mit dem Prix Europa ausgezeichnet. Ohnehin gab es ganz coole Podcastproduktionen in diesem Jahr:

Yves Bellinghausens irren Schachpodcast „Scambit„, den Generationenpodcast „Old and Gold“ und den Telefonpodcast „Telephobia“. Auf dem wirklich heimeligen PodFest Berlin war ich bei der Liveproduktion von „Flicks`n Scoops“ dabei. Jeder Podcastgast nennt seinen Lieblingsfilm, dazu wird ein Eis kreiert. Welch fabulös-leckere Idee. Mark Reeders Filmauswahl („On the Silver Globe“) inspirierte Podcasthost Ash zu einem Pflaume-Vanille-Meersalz-Spirulina-Eis. Auch (Podcast-)Liebe geht eben durch den Magen.

Ich liebe es Leidenschaften zu sprechen

Was ich an meinen Job liebe: Andere Menschen zu treffen, die ihre Leidenschaften leben und mich mit ihnen zu unterhalten. Jeden Morgen schreibt Luc Besson übrigens seine „Morgenseiten“, hat er mir dieses Jahr erzählt. Man setzt den Stift an und schreibt, ohne ihn abzusetzen. So finden bewusste und unbewusste Gedanken ihren Weg auf ein Blatt Papier.

Aktuell teste ich beim „Rauhnachtjournaling“ eine ähnliche Praxis. Jeden Tag stellt mir Bianca Fritz eine Frage, die ich in meinem Büchlein beantworte. Erst blickt man auf das alte Jahr zurück und dann ins neue Jahr. Die Frage, wofür ich dankbar bin, beantworte ich gerne. Ich bin dankbar, ein gutes Umfeld zu haben, das mich unterstützt und fördert, mir selbst bin ich dankbar, dass ich mir selbst vertraue und dass ich mir den Weg für eine unabhängige Zukunft ebne.

Dazu gehört für mich auch, mich neuen Herausforderungen zu stellen und es gehört auch dazu, dass ich mich weiterbilde. Ich habe zum Beispiel dieses Jahr angefangen, die Fotos bei Konzerten, über die ich für die Märkische Oderzeitung (MOZ) schreibe, selbst zu machen. Der tollste Moment war für mich, als ich im Fotograben (an der Bühne) stand und die Konfettikanone mit vielen Papierschnipseln losging. Es war ein sehr toller Konzertsommer. Ein lustiger Abschluss war meine zweifache Berichterstattung über das BVG-Musical. Meine Kurzkritik in der MOZ und die polemische Langkritik im nd.

Fotos im Papierregen

Dieses Jahr habe ich gelernt, dass sich Lokaljournalismus als Genossenschaft organisieren und finanzieren sollte, um die redaktionelle Unabhängigkeit zu bewahren. Außerdem habe ich (weitere) interessante „Mediapreneure“ kennengelernt: Das digitale Fachmagazin „Medieninsider“ beobachtet die Medienszene und berichtet investigativ darüber, „St. Audio Studio“ hat sich der Verbreitung von Podcasts verschrieben und in „andererseits“ schreiben Menschen mit und ohne Behinderung gleichberechtigt und kritisch über Gesellschaftsthemen. Wer mehr über „Mediapreneure“ wissen möchte, dem kann ich das gleichnamige Magazin von Sören Mannschitz auf LinkedIn nur empfehlen.

Den Tipp hat er mir auf meinem ersten Bootcamp selbst gegeben, wo ich gemeinsam mit Jakob Vicari, Yvonne Pöppelbaum und den anderen Teilnehmenden u.a. über ein WhatsApp-Magazin und Finanzierungsmöglichkeiten des Magazins nachgedacht habe. Die Ideen sprudelten nur so. Michael Scholl schlug dort zum Beispiel ein Ketchup-Magazin vor – für Ketchup-Gourmets, die gut und gerne pro Woche eine Flasche Ketchup verbrauchen.

Also ja, ich könnte noch viel über dieses Jahr erzählen. Was interessiert Euch? Dann schreibe ich 2024 gerne darüber. Mit viel Herzblut. Versprochen.

Rutscht gut ins neue Jahr.
Alles Liebe, Susanne

P.S.: In meinem torial-Profil könnt Ihr mein Jahr in Artikeln nachlesen. Judith Peters hat mich zum #jahresrückblog inspiriert. Vielen Dank dafür.