„Rechte sehen nicht mehr rechts aus“

Regisseur Christian Schwochow. Foto: André Röhner
Regisseur Christian Schwochow. Foto: André Röhner

Kann sich unsere Geschichte wiederholen? Regisseur Christian Schwochow („Der Turm“, „Deutschstunde“) zeichnet in dem Kinothriller „Je suis Karl“ eine erschreckende Dystopie, die gar nicht so weit von der Wirklichkeit entfernt ist.

Christian Schwochow, ohne zu spoilern: worum geht’s in „Je suis Karl“?

Das ist gar nicht so einfach, das so knapp zusammenzufassen. In „Je suis Karl“ geht’s um Maxi (Lunda Wedler), eine junge Frau, die in Friedrichshain, dem offensten und liberalsten Berliner Bezirk aufwächst. Sie begegnet dem Studenten Karl (Jannis Niewöhner) kurz nachdem sie durch eine Paketbombe ihre Mutter und ihre zwei Brüder verloren hat. Karl reicht ihr die Hand und lädt sie ein, ihm nach Prag zu folgen, wo er Teil einer scheinbar offenen Gruppierung ist. Maxi vertraut Karl und ahnt nicht, dass sie Teil seines radikalen Plans ist. 

Der Titel „Je suis Karl“ erinnert an die „Je suis Charlie“-Bewegung. Ist das Zufall oder Absicht?

Es war eine Eingebung. „Je suis Charlie“ dockt an den europäischen Gedanken an und wurde universell aufgegriffen. Die rechte Bewegung schreckt nicht davor zurück, sich auch diesen Begriff zu eigen zu machen.

Warum hast Du Dich entschieden, den Film dort spielen zu lassen, wo Du und Drehbuchautor Thomas Wendrich selbst wohnen…

Wir wollten einen Film machen, der an die eigenen Gewissheiten geht. Der fragt: Wie offen bin ich wirklich und wie viel Rassismus steckt in mir? Ich habe das Gefühl, dass sich in den letzten Jahren vieles nach rechts verschoben hat. Man darf Dinge sagen, denen nicht widersprochen wird, obwohl das für fünf, sechs Jahren noch undenkbar war.

Was zum Beispiel?

Viele Menschen reden von „den Flüchtlingen“ – als wären das Menschen ohne Biografie, eine einheitliche Masse. Dass Asylbewerber eine Gefahr für Deutschland und unseren Wohlstand sind, wird oft gesagt – und in dieser Undifferenziertheit nicht widersprochen. Ich wollte das ganz nah an uns ranholen. Deswegen fängt die Geschichte genau dort an, wo wir herkommen. Es ist ein Film über Trauma und Hass – jede Szene ist intensiv. Das war am Set jeden Tag schmerzhafte Arbeit für das ganze Team.

Warum entfaltet „Je suis Karl“ so eine Wucht?

Wichtig war mir, zu fragen, was passiert, wenn eine rechte Bewegung eine sehr charismatische Person hervorbringt. So jemanden wie Greta oder Obama, nur von Ultrarechts. Wer wäre verführbar? Wir lieben politische Idole in Deutschland, aber wir haben keine. Wenn jemand mit Charisma, Schlauheit und Verführungskraft käme, dann Gnade uns Gott. Jannis sieht sehr gut aus, er ist bescheiden, zurückgenommen und bodenständig. Wenn man das mit der Figur des Karl paart, der gebildet, sprachgewandt, schnell und scheinbar empathisch ist, dann wird es spannend.

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„Je suis Karl“ holt die Geschichte einer Machtergreifung in die Jetztzeit. Welcher Teil Deiner Vergangenheit hat Dich so geprägt, dass Du der politisch-brisante Filmemacher wurdest, der Du jetzt bist?

Zum einen bin ich in der DDR geboren. Meine Eltern waren politisch und waren in der Berliner Kunst—und Theaterszene verwurzelt, bei uns waren immer Leute zu Hause, die in der Küche miteinander über Politik geredet haben. Der Zustand der DDR wurde immer kommentiert. Das war nicht so, dass alle krasse Regimegegner waren, die das Land gehasst haben, in dem wir gelebt haben, sondern es wurde sich auseinandergesetzt. Ich war acht Jahre alt und habe all die Diskussionen mitbekommen.

Wie hat das Deine Kindheit verändert?

Durch den Ausreiseantrag meiner Eltern und durch die Zeit vor dem Mauerfall, in der wir in der Gethsemane-Gemeinde im Prenzlauer Berg bei all den Mahnwachen dabei waren und ich als Elfjähriger Teil von Weltgeschichte wurde, ist mir eine Zeit geschenkt worden, die ich nie vergessen habe. Damals habe ich verstanden: Wenn Menschen sich zusammenschließen, dann kann etwas verändert werden.. Heute habe ich das Gefühl, die anderen sind laut, also muss ich auch laut sein. Deswegen ist „Je suis Karl“ auch ein lauter Film geworden.

Vor „Je suis Karl“ hast Du den ersten Teil von „Mitten in Deutschland: NSU“ gedreht. Kann man sagen, dass die NSU-Trilogie ein Vorreiter von „Je suis Karl“ ist?

Ganz bestimmt. Ich habe als ich 20 war, als Fernsehjournalist gearbeitet. Auch da habe ich mich schon mit Rechtsextremismus in den verschiedensten Spielarten beschäftigt. Rechte sehen nicht mehr rechts aus. Sie sehen teilweise aus wie Leute von der Antifa oder ganz bunt, hip und divers wie ich sie im Film darstelle. Man hat damals den NSU unterschätzt, die Polizei ist damals gar nicht auf die Idee gekommen, im rechtsradikalen Milieu zu ermitteln. Es gab und gibt starke Verbindungen von Staatsorganen und der rechten Szene. Heute definiert sich die AfD als „das Neue normal.“ Das ist etwas, was mir sehr Angst macht und deswegen wollte ich mit „Je suis Karl“ in die Zukunft schauen.

Ordnen sich Parteien einer politischen Ausrichtung zu oder sind die Begriffe rechts, links nicht mehr aktuell?

Viele Parteien merken, dass die Begriffe links und rechts negativ behaftet sind, auch die Grünen erklären sich nicht mehr als klar links. Ich glaube, dass darin eine Gefahr besteht. Es ist schwieriger sich zu orientieren, wofür eine Partei steht. Wenn ich mir ankucke, wer bei der Querdenkenbewegung unter einem Dach gemeinsam marschiert, von Impfgegnern bis hin zur Coronaleugnern bis hin zu Reichsbürgern. Die rechten Parteien haben es verstanden, dass man Unzufriedenheiten aller Art kanalisieren kann. Sie nennen sich heute Patrioten und ordnen sich als konservativ ein. Den Begriff rechts vermeiden sie, sind es aber. Man muss Rechtsradikalismus beim Namen nennen.

Fünf Jahre lang hast Du an „Je suis Karl“ gearbeitet. Inwiefern hat die Arbeit an „Je suis Karl“ Deinen Blick auf die politische Landschaft verändert?

Es gibt Leute, die darauf warten, dass Unruhe ausbricht, so wie es in Washington passiert ist, als das Kapitol gestürmt wurde. Damals sind vier Leute umgekommen. Während wir an „Je suis Karl“ gearbeitet haben, sind Dinge passiert, die wir nicht für möglich gehalten haben. Der Anschlag am Breitscheidplatz, Halle, Hanau, der Mord an Walter Lübke. Die Einschläge kamen immer näher. Das Tempo in der ganzen Welt hat sich verändert.

Wo steht das politische Kino heute und was muss man leisten, um einen politischen Film so aufzubereiten, dass er berührt und zum Nachdenken anregt?

Gerade in den Zeiten von Netflix und Co. muss man gute Unterhaltung anbieten. In Deutschland wird immer noch in ernsthafte und unterhaltende Kunst getrennt, der Film kann beides. Ich wollte einen modernen Film machen, der zugänglich ist, ohne platt zu sein und der im Jetzt spielt. Es ist ganz leicht für mich, Leute zu erreichen, die ohnehin meiner Meinung sind. Ich will aber in die Schulen, ich will in die Jugendvereine, ich will dass Eltern mit ihren Kindern in den Film gehen und auch ohne ihre Kinder. Es ist kein Zufall, dass der Film kurz vor der Bundestagswahl startet.

Weitere Informationen
„Je suis Karl“ startet am 16. September im Kino. Ein Artikel über „Je suis Karl“ mit Zitaten von Christian Schwochow erschien am 12. September in BILD am SONNTAG. Der Artikel wurde auf Basis dieses Interviews mit Schwochow geschrieben. „Je suis Karl“ feierte seine Premiere auf der 71. Berlinale in der Sektion Berlinale Special Gala. Der Film ist in vier Kategorien für den deutschen Filmpreis nominiert. Die Kategorien: bester Spielfilm, beste weibliche Hauptrolle (Luna Wedler), beste männliche Hauptrolle (Jannis Niewöhner), beste männliche Nebenrolle (Milan Peschel)