Eine Nazi-Groteske für Deutschland?

Kultur zu Dietrich Brüggemanns Nazi-Groteske HEIL

Regisseur und Drehbuchautor Dietrich Brüggemann packt den ganzen Deutschlandwahnsinn in einen Film und nennt ihn auch noch „HEIL“. Aber ist der Film wirklich so mutig? Cindy und Susanne im Kulturchat. 

Susanne: Einmal Deutschland zum Mitnehmen. Funktioniert das als Film?

Cindy: Ich bin hin und her gerissen. HEIL ist rasant, witzig, teils etwas einfallslos und nicht das, was ich von Brüggemann erwartet habe.

Susanne: Was hattest du erwartet?

Cindy: Brüggemanns Humor empfinde ich sonst als dezenter – das kam seltener durch. Der Film ist oft plakativ, arbeitet mit Wiederholungen

Susanne: Er ist nicht gerade subtil. Braucht es diesen Haudraufhumor, um keinem auf dem Schlips zu treten? Keiner kommt bei ihm gut weg.

Cindy: Die Schlägereien nerven mich, aber das Prinzip mit den Stereotypen ist gut. Gelungen sind die Antifa und Talkshowgäste.

Susanne: …im Gegensatz zu den Neonazis. Mir war das zu flach, nur zu sagen, dass sie dumm sind und Probleme mit der Rechtschreibung haben.

Johnny (Jacob Matschenz) und Kalle (Daniel Zillmann) haben es nicht so mit der Rechtschreibung © X-Verleih
Johnny (Jacob Matschenz) und Kalle (Daniel Zillmann) haben es nicht so mit der Rechtschreibung © X-Verleih

Cindy: Komischerweise empfand ich Benno Fürmann als Neonazi sympathisch. Das hat mich etwas verstimmt.

Susanne: Und das obwohl er Leute umbringt!

Cindy: Da hab ich wohl mehr Benno Fürmann gesehen, als die Rolle, die er spielt.

Susanne: Im Film ist er nicht der Hellste. Meinst du, Brüggemann hatte Bedenken vor einer falschen Einordnung durch ein konkreteres Bild?

Cindy: Du meinst, ob er Angst hatte seine Kritik an Nazis zu stark zu machen?

Susanne: Ja, dass der Film dann politisch wird und so nicht mehr funktioniert. Schließlich spricht er die NSU zum Beispiel nicht direkt an.

Cindy: Der Film hätte stark die Richtung geändert, wenn er die Neonazis – wie in Wnendts „Kriegerin“ weniger harmlos dargestellt hätte.

Susanne: …die Brüggemann auch zum Film inspirierte.

Cindy: Tatsächlich? Interessant – mir sind nur Parallelen wie das ländliche Setting und das ähnliche Aussehen der Nazibraut aufgefallen!

Susanne: Ursprünglich wollte Brüggemann Doreen als eine Art germanisches Vollweib zeigen, die Schauspielerin, die er wollte, konnte nicht…

Cindy: Doreen ist rotzig und nicht so plump wie die anderen. Brüggemann blieb seinem Prinzip treu: Gastrolle für sich und seine Schwester.

Susanne: Ich bin froh, da der Film ohnehin schon so „Deutsch“ ist. Also ich find`s erschreckend, wie viel Wahrheit in seinem Film steckt.

Cindy:  Die vermeintlichen Experten im Polittalk und Lokalpolitiker, die nur ihre Ruhe wollen, sind gegenüber der Nazikritik sehr gelungen.

Susanne: Jeder rennt in (s)eine Richtung. Nur Polizist denkt mit. Er will was gegen die Neonazis unternehmen, wir aber gemaßregelt.

Cindy: Der Einzige, der kein Klischee ist. Er tat mir etwas Leid als einziger „Mensch“. Ich befürchte nur, dass er im wahren Leben wegsieht?

Susanne: Meinst du, dass wir durch Politik und Bürokratie so desillusioniert sind, dass wir nicht mehr handeln wollen?

Cindy: Ja, dieses Gefühl der Hoffnungslosigkeit lähmt sicher viele. Wie viele stellen sich allein auf weiter Flur gegen rechte Gewalt?

Susanne: Eigentlich sind wir doch alle wie die Antifa, die dort gezeichnet wird. Wir diskutieren lieber, anstatt zu handeln.

Cindy: Im Film behindern sich die Antifa und die Neonazis selbst. Beide Pläne scheitern – nur letztere töten sich auch gegenseitig.

Susanne: In was für einem Land leben wir eigentlich?

Cindy: Ich würde sagen in einer Gesellschaft zwischen Rainald Grebes Brandenburg-Lied und politischer Gelähmtheit.

Susanne: Passend dazu hat Brüggemann viel Kultur- und Medienleute in den Film gepackt: Bernd Begemann, Thees Uhlmann, Johnny Haeusler…

Cindy: Ja, das war super und ein richtiges Suchspiel. Tim Neuhaus, Marcus Wiebusch, Kat Frankie, Moritz Krämer, die Lass Brüder…

Susanne: Schön unterhaltsam. Eigentlich macht Brüggemann nichts anderes als das deutsche Fernsehen: Er zeigt uns das, was wir kennen.

Cindy: Und wir erkennen`s wieder. Die Entführung vom farbigen Protagonisten und sein Gesinnungswandel zeigen, wie absurd Fremdenhass ist.

Susanne: …und das unreflektierte Nachplappern von Meinungen. Als ich hab mich köstlich amüsiert – auch wenn ich öfter schlucken musste.

Cindy: Genau so funktioniert Satire!

Über das Format

Youtube, Twitter, Facebook. Keine Botschaft ist länger als 140 Zeichen, die Aufmerksamkeit sinkt schon nach einer Minute. Ist es dann noch zeitgemäß, Abhandlungen über Theateraufführungen zu schreiben? Monologe über sich selbst oder seitenlang über ein Thema zu philosophieren? In den Zeiten von Chat, Multitasking und schlauen Telefonen liegt die Würze immer mehr in der Kürze. Deswegen chatten Katrin und ich einfach mal über ein Thema. Keiner hat mehr als 140 Zeichen Platz, aber jeder hat viel zu sagen und los geht der Schlagabtausch. Der Kulturchat wird in unregelmäßigen Abständen auf Kulturschoxx erscheinen. Die Idee ist aus einem Chat mit Petra von Schenck und mir entstanden.

Über die Autorinnen

Cindy Böhme, geboren 1990 in Parchim nahe Schwerin studierte in Berlin Literaturwissenschaften und Germanistik. Sie arbeitet für berliner-filmfestivals.de als freie Filmkritikerin. Seit ihrer Mitarbeit in der ‚ZOOM Medienfabrik‘ fühlt sie sich auch in der Film-PR wohl und würde sich ihr nach Ende ihres Masterstudiums am liebsten voll und ganz verschreiben.

Susanne Gietl, geboren 1980 in München, arbeitete bereits während ihres Germanistikstudiums in Print, TV und Hörfunk. Nach abgeschlossenem Volontariat in Berlin fand sie an der Spree ein neues, inspirierendes Zuhause. Sie ist freie Kultur- und Gesellschaftsjournalistin in Berlin, entwickelt gerne neue Formate und twittert unter @GeatlS live auf Veranstaltungen.

Mehr Infos über HEIL – Der Film, Dietrich Brüggemanns Blog