„Es brennt“

Christian Petzold und Thomas Schubert (v.l.) am Set. Copyright: Christian Schultz/Schramm Film
Christian Petzold und Thomas Schubert (v.l.) am Set. Copyright: Christian Schultz/Schramm Film

Heftigst wird die Nichtnominierung von Christian Petzolds Sommerfilm „roter Himmel“ für den Deutschen Filmpreis diskutiert. Das Führungsduo, Schauspielerin Alexandra Maria Lara und Regisseur Florian Gallenberger, denken über eine Reformation des Auswahlverfahrens nach. „Die Diskussion um eine Änderung gibt es übrigens schon lange“, so Lara zu ntv. Die Vorauswahl trifft eine kleine Gruppe, „offenkundig sitzen da nicht die Leute drin, die sehr viele Filme sehen und auch die Reichweite und Bedeutung von diesem Film abschätzen können“, so Christian Bräuer, Vorstandsvorsitzender von der AG Kino zu rbb Kultur. „Petzold wird weltweit gefeiert, bekam den großen Preis der Jury für „roter Himmel“. Statt Deutschem Filmpreis bekommt „roter Himmel“ jetzt hier eine Bühne.

Im ersten Teil meines Interviews spricht Christian Petzold über das Somnambule in „roter Himmel“, im zweiten Teil des Interviews darüber, wie er Vertrautheit am Set herstellt, Waldbrände und warum er zwar seit 2018 Mitglied Oscarakademie ist, nicht aber in der Deutschen Filmakademie.

„Roter Himmel“ funktioniert durch das gute Ensemble. Wie stellt man eine gute Atmosphäre am Set her?

Da muss ich ein bisschen ausholen. Als in einer Jury war, habe ich Isabelle Huppert in Odessa kennengelernt, als sie einen Preis bekommen hat. Auf dem Flug nach Paris erzählte sie mir, dass sie erst zu einer gewissen Uhrzeit am Set anzutreffen sei: „Ich steh doch nicht vor 8 Uhr auf! Ich bin über 60 Jahre alt!“ Dann dachte ich mir, dass ich das jetzt auch so machen werde. Also werden vor 8 Uhr die Schauspieler* bei mir nicht geweckt.

Dann kommen sie ans Set, kriegen ihre Kostüme ausgehändigt und erkunden das Set. Sie überlegen sich scheinbar banale Sachen: Wo sitze ich? Wie gucke ich? Wie laufe ich in der Küche rum? Was wasche ich ab? Wenn die Paula den Gulasch verpackt, überlegt sie sich: Wie drücke ich den aus der Plastiktüte raus? Das sind alles Dinge, für die man nie Zeit hat, die aber so wichtig sind, weil sie physisches Kino sind.

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Und dann geht`s mit dem Dreh los?

Nein. Wir plaudern ein bisschen über die Tour de France oder über die Klimakatastrophe oder was uns noch in den Sinn kommt. Vielleicht erzählt auch noch jemand eine Anekdote. Dann erst kommt der Text dazu und die Schauspieler* versuchen, eine Choreographie hinzubekommen. Das dauert manchmal zwei Stunden. Da ist noch nichts aufgebaut. Das ist mir wichtig. Warum werden Schauspieler* in Sets geworfen, wo schon Markierungen liegen und wo schon alles ausgeleuchtet ist? Sie müssen dann einen bestimmten Punkt treffen, um ins Set zu passen und sollen dann irgendwas möglichst authentisch spielen. Wie soll das gehen?! Das Set ist doch tot!

Wann kommt der Rest der Crew dazu?

Wenn wir wissen: „Das isses“, dann hole ich alle dazu: Kamera, Ton, Maske. Die Schauspieler* spielen dann alles einmal durch. So bekommt das Team auch ein Gefühl für die Situation. Komischerweise ändern die Schauspieler* an dem Text fast gar nichts. Weil der Text in die Situation hineingefügt wird, mit der sie sich bereits auseinandergesetzt haben. Wenn die Schauspieler* den Tisch decken und Thomas Schubert gerade mit seinem Verleger telefoniert, improvisiert er. Und da merke ich, dass alle ihre Figur begriffen haben und sich als Gruppe begriffen haben. Dann nehme ich auf. Letztlich brauche ich nur noch einen Take oder zwei.

„Letztlich brauche ich nur noch einen Take oder zwei“

Wie stellt man ein Ensemble her?

Wenn man einen Schauspieler* nur für den einen Moment holt und der soll dann an der Markierung seinen Satz sagen, dann spielt er nicht mit jemand anderem. Er spielt mit sich selber. Wenn Du aber eine Gruppe hast, die sich ausprobiert, dann entsteht ein Ensemble. Wenn Paula zum Beispiel den Gulasch wegdrückt, dann spürt sie, wenn jemand hinter ihr steht. Es passiert in der kleinsten Rolle mehr, als man zuerst wahrnimmt. Deshalb mache ich die Proben auch mit Leuten, die nur einen Satz sagen, weil wir als Ensemble zusammengehören. Alle gehören dazu!

„Man glaubt nicht, dass der Wald brennen kann2

Wie haben sich die beiden Schauspieler* in den Nebenrollen auf den Dreh vorbereitetet?

Wir machen immer drei Tage Seminar und eine Reise zu allen Motiven, bevor sie von der Filmcrew besetzt werden. Es war mir wichtig, dass alle Schauspieler* eingeladen waren. Jennipher Antoni, welche die Kassiererin spielt und Esther Esche, welche die Hotelmanagerin spielt, haben das Drehbuch gelesen. Das Drehbuch kam mir durch ihre Sprache fremd und zugleich sehr nah vor. Bei der Leseprobe dachte ich mir: „Boah, sind die beiden gut!“ Und das ist auch wichtig! Die Amerikaner und die Franzosen würden niemals für kleine Rollen sagen: „Na da nehmen wir irgendeine für 300 Euro!“, als ob sie Spargelstecherinnen wären.

In „roter Himmel“ schwebt die Gefahr eines Waldbrandes über der Geschichte. Warum wurde der Waldbrand so dargestellt?

Ich war, als ich angefangen habe, das Drehbuch zu schreiben, während der großen Waldbrände mit meiner Frau in der Türkei. Besonders für uns Deutsche ist der Wald ein Zufluchts- und Rückzugsort. Man glaubt nicht, dass der Wald brennen kann. Wir sind dann in eines der Waldbrandgebiete gefahren. Da habe ich zum ersten Mal körperlich erfahren, was es bedeutet, wenn ein Wald verbrannt ist. Nicht ein kleines Stück, sondern ganze Landstriche sind für Jahrzehnte verwüstet. Wir sind durch diesen Wald gegangen. Das Wort apokalyptisch beschreibt es gar nicht richtig. Der Wald sah aus wie „Jardin“ in den Bildern von Max Ernst und es war totenstill.

Und dieses Gefühl wurde auf die jungen Erwachsenen übertragen?

Ich kann mir vorstellen, dass mir jemand im Urlaub erzählt, dass zehn Kilometer weiter ein Wald brennt und ich ignoriere das. So ein bisschen geht das Nadja, Leon, Devid und Felix auch so. Sie denken sich: 2Der Brand zieht vorbei und ist nicht so schlimm.“ Doch wenn der Waldbrand dann da ist, dann erschlägt er sie so, wie mich dieses Waldbrandgebiet in der Türkei damals erschlagen hat. Es brennt lichterloh!

30 Kilometer vom Drehort fanden wirklich Waldbrände statt.  Die Sirenen im Film sind echte Warnsirenen. Wie hat das den Dreh beeinflusst?

Es hatte sechs Wochen nicht geregnet oder sogar noch länger. Wenn die Autos auf der Wiese geparkt hatten, mussten wir etwas drunter legen, weil alles ausgedörrt war und durch die Hitze des Auspuffs sich alles entzündet hätte. Wir mussten auch manchmal die Wiese wegen Anschluss grün färben, weil die Wiese so verbrannt war. Es war wirklich wahnsinnig heiß.

„Die Zunft bereichert sich ohne jede Kontrolle an öffentlichem Geld“

Gerne möchte ich kurz über den Filmpreis sprechen, von dem Du Dich als Nicht-Mitglied der Akademie distanzierst. Warum bist Du kein Mitglied, obwohl Du eine feste Größe in der deutschen Filmlandschaft bist?

Ganz einfach. Als die deutsche Filmakademie gegründet wurde, habe ich lange mit Bernd Eichinger telefoniert. Im Grunde genommen war er DIE Energie, die Akademie zu gründen. Ich mochte ihn sehr und habe ihm schon damals gesagt: „Ich gehe nicht in die deutsche Filmakademie, wenn Ihr den deutschen Filmpreis verleiht.“ Dadurch, dass die Akademie Staatsgelder verteilt ist etwas in dem ganzen Laden nicht in Ordnung. Die Zunft bereichert sich ohne jede Kontrolle an öffentlichem Geld. Ich finde das nicht richtig. Darum bin ich kein Mitglied der Deutschen Filmakademie. Weder die französischen César-Filmpreise werden mit staatlichem Geld verteilt, noch die Oscars. Das ist nur bei uns so.

Weitere Informationen:

*aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde wie folgt gendert: Schauspieler* beinhaltet Schauspieler und Schauspielerinnen

Kurzbeschreibung der Handlung von „roter Himmel“:

In einem abgelegenen Ferienhaus zwischen Wald und Meer treffen vier junge Menschen aufeinander: Leon und Felix, Freunde seit Kindertagen, Nadja, die als Saisonkraft im Küstendorf jobbt, und Devid, der Rettungsschwimmer. Es sind schwebende, wie aus der Welt gefallene Tage. Und so wie ein Funke genügt, um die ausgetrockneten Wälder um sie herum in Brand zu setzen, geschieht es den jungen Menschen mit ihren Gefühlen und Hoffnungen, mit der Liebe.

Schauspieler*In: Thomas Schubert, Paula Beer, Langston Uibel,
Enno Trebs, Matthias Brandt
Regie und Drehbuch Christian Petzold
Regieassistenz: Ires Jung
Bildgestaltung: Hans Fromm

Christian Petzolds „Roter Himmel“ feierte im Februar 2023 seine Premiere auf der Berlinale. Der Film bekam den großen Preis der Jury. „Roter Himmel“ läuft seit 20. April im Kino. Für den Deutschen Filmpreis ist „roter Himmel“ nicht nominiert. Tag der Filmpreisverleihung: 12. Mai 2023.