Regisseurin Lisa Pauline Wagner wuchs in der Mun-Sekte auf und verarbeitete ihre Erfahrungen in dem Stück „Bye Bye Moon“. Im Interview erklärt Lisa, warum das Stück trotzdem eher witzig als traurig wurde und inwiefern Theater und Religion vergleichbar sind.
Lisa, Du hast Regie in Hamburg studiert, „Bye Bye Moon“ war Dein so genanntes Abschiedsstück. Warum nennst Du es so?
Ich habe mich 17 Mal an Kunstunis beworben und habe erst dann einen Studienplatz bekommen, als ich meine „Sekten-Story“ ausgepackt habe. Das hat mich bis zum Schluss unterschwellig beschäftigt, also wollte ich am Ende das Stück dazu abliefern. Mein Abschlussstück an der Uni war aber „Marys Monster“, deshalb nenne ich „Bye Bye Moon“ mein Abschiedsstück. Natürlich wollte ich die Vorbereitung von „Bye Bye Moon“ auch als Recherche für mich nutzen, wie das damals war. Den Begriff Sekte hatten wir zum Beispiel nie verwendet. Daher wollte ich wissen, ob es stimmt, dass ich in einer Sekte war.
Wie hast Du Dir das Thema erarbeitet?
Wir waren ein vierköpfiges Team: Tino und ich, meine Regieassistentin Lisa Haucke und meine Dramaturgin Lucia Wunsch. Meine ursprüngliche Idee war, die Geschichte von „Sailor Moon“ mit der Moon-Sekte zu verbinden, weil ich in meiner Kindheit als riesiger Sailor Moon-Fan die Welt retten wollte. Dann hat Tino angefangen, den Song „Sailor Moon“ auf Gitarre zu lernen. Am Ende stellten wir fest, dass die Geschichte von Sailor Moon superirritierend ist.
Und dann?
Meine Dramaturgin hat mit mir ein zweistündiges Interview gemacht und das wurde mein roter Faden. Stück für Stück kam Material rein, um diese Teile zu füttern. Einmal hab ich mir gedacht: Dieses Gefühl lässt sich doch perfekt mit dem Mulan-Song „Spiegelbild“ erzählen. Bei „Fly me to the Moon“ wusste Tino sofort: „Den bauen wir auch noch ein!“ Das Material ist manchmal ein Song, ein Gerichtsurteil oder meine große Liebe zu Pina Bausch und ein YouTube-Video, das ich mir von ihrem Tanzstück angeguckt habe. Alles, was Du Dir vorstellen kannst, kannst Du auf der Bühne erzählen, machen, tanzen oder reimen. Das ist ja das, was am Theater so Spaß macht: Dieses kindliche, freudige Spiel.
War es für Dich auch eine Option, in eine nachdenklichere Richtung zu gehen?
Im Anfangsmonolog gibt es diesen einen Satz, der mit den Worten beginnt: „Nachdem meine Schwester sich umgebracht hat und meine Mutter schwer depressiv wurde…“ Dann gehe ich in eine ganz andere Richtung und gehe auf diesen Aspekt nicht weiter ein. Es war in dem Moment nicht so, dass ich darüber nicht reden wollte, aber mir war wichtig, zu erzählen, wie es danach weiterging und was meine (Sekten-) Vergangenheit eigentlich für mich bedeutet. Was macht das mit mir jetzt und heute und in Zukunft?
Später hast Du eine Residenzförderung für eine Recherche für „Theater als Ersatzreligion“ beantragt. Wie kam es dazu?
Im Prozess des Machens von „Bye Bye Moon“ fehlte eine Klammer und ein Perspektivwechsel. Dann bin ich mit meiner Dramaturgin Lucia Wunsch auf die Idee gekommen, Vergleiche zwischen Theater und Religion zu ziehen. Ich wollte weiterforschen und habe sowohl Gottesdienste als auch Theateraufführungen angesehen und den Einsatz von Musik und den performativen Einsatz in unterschiedlichen Religionen miteinander verglichen. In der katholischen Kirche ist das total krass, was die an Tamtaratam auffahren! Mehr als in vielen Theaterstücken. Auch da gibt es Kostüme und feste Abläufe und Rituale. Im Theater ist es das Einsingen oder Aufwärmen. Da kam einiges auf.
Weitere Informationen
„Bye Bye Moon – eine Heldinnenreise“ von und mit Lisa Pauline Wagner. Regie: Lisa Wagner. Musik: Konstantin „Tino“ Buchholz. Dramaturgie: Lucia Wunsch. Assistenz: Heidi Wagner, Lea Svenja Dietrich. Das Stück wurde 2021 beim Kiezstürmer-Festival für junge Regisseur:innen uraufgeführt.
Lisa Pauline Wagner gründete 2014 das Theaterensemble WHEELS und studierte ab 2017 Regie an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Sie ist Regisseurin, Schauspielerin und als Poetry Slammerin amtierende Berlin-Brandenburg-Meisterin und deutschsprachige Vizemeisterin.
Die Informationen des Gespräches entstammen aus einem Publikumsgespräch, das ich im Rahmen von Theaterscoutings Berlin im April 2023 im theaterforum kreuzberg moderiert habe. Das Publikumsgespräch gibt es bald hier zu lesen.