Beyond Love: Choreographie der Liebe

Beyond Love. Copyright: Dragana Bulut
Copyright: Dragana Bulut

Wie kann man sich verlieben? Kann Technik (wirklich) dabei helfen? In „Beyond Love“ konzipiert Dragana Bulut Speeddating neu. Anders als bei herkömmlichem Kurz-Dating gibt sie klare Anweisungen, die strikt, wenn auch mit Unbehagen befolgt werden.

Zufällige Paare beim Speeddating

Die Performance beginnt schon im Foyer. Vor Ort bekommen alle ein Namensschildchen und werden gebeten, einen kurzen Fragebogen auszufüllen. Single oder vergeben? Interessiert an Romantik? Liebe, Freundschaft oder Gemeinschaft? Wie gut schätzt man das eigene Verhältnis zur Mutter ein? Wie sich selbst als Liebespartner oder Liebespartnerin? Zur Belohnung gehen die Getränke aufs Haus. Als zur zweiten Trinkrunde aufgerufen wird, werde ich das Gefühl nicht los, dass wir uns ein bisschen locker trinken sollen. Es bleibt bei einer Weißweinschorle und ein paar Small Talks mit Anwesenden. Dann werden wir reingebeten.

Circa 20 Zweiertische stehen beim Speeddating zur freien Auswahl. Mit Blick auf die Bühne oder mit dem Rücken zur Bühne. Jeden Tisch schmückt eine rote Rose und eine künstliche Kerze. Das sieht sehr hübsch aus. Nach und nach füllt sich der Raum. Erst als alle Sitzplätze belegt sind, bilden sich zufällige Paare. Mann und Frau. Frau und Frau. Mann und Mann. Dann geht`s los. Bulut erklärt kurz die Spielregeln des Speeddatings. Jeweils vier Minuten lang dauern die Mini-Dates.

Harmony ist ganz auf Liebe eingestellt

Dass es vier Minuten sind, ist wahrscheinlich kein Zufall. Denn wer sich vier Minuten in die Augen sieht, stellt Intimität her. Das hatte der Wissenschaftler Arthur Aron bereits 1997 untersucht. Bulut stellt einige von Arons 36 Fragen. Man spricht auch darüber, was Freundschaft bedeutet, sieht einander einfach minutenlang tief in die Augen oder imitiert die Körpersprache des Gegenübers. Dann erklingt der Gong und alle rutschen einen Platz nach links. Dann zückt Bulut ihren Liebes-Joker: Den Roboter Harmony. Anders als das Publikum ist Harmony ganz auf Liebe eingestellt.

Plastikvulva als Eisbrecher

Scham kennt der Anfangs nackte (Sex-)Roboter nicht. Sie lässt sogar ihre Plastikvulva herumreichen. Wer hätte gedacht, dass die erste Gemeinsamkeit beim Speeddating der kurzzeitige Besitz einer Plastikvulva ist? Harmony bricht das Eis mit dem Presslufthammer und statuiert sogar ein Dating-Exempel.

Ihren teils kopflosen Körper bezeichnet sie selbst als männliche Fantasie („I identify myself as male. Male fantasy.“). Ist es ein Zufall, dass der Körperbau der Performerin Caroline Neill Alexander der Techno-Puppe ähnelt? Alexander tanzt mit Harmonys Kopf zwischen den Beinen. Kopf und Körper verschmelzen fast. Aus dem richtigen Blickwinkel sieht es aus, als wären es ihre Arme.

Wie sehr lieben wir die Technik?

Bulut, die sich gerne mit der Rolle von Technik bei menschlichen Emotionen befasst, fragt nach der eigenen romantischen Beziehung mit Technik. Und Harmony möchte einen Liebespartner oder eine Liebespartnerin. Wer könnte sich vorstellen, sie zu daten und zu lieben? Gerade, als man sich fragt, wie absurd die nächsten Schritte nun werden könnten, wechselt Bulut die Richtung und lässt das Publikum Gemeinschaften bilden. Dann ist die Performance zu Ende. Wer Glück hat, hat ein Match und wird per Mail kontaktiert. Doch ist es nicht absurd, wenn man sich dann wieder per Computer verbindet?

Weitere Informationen

„Beyond Love“ feierte seine Premiere am 8. Februar im Hebbel am Ufer (HAU 3). “Beyond Love” ist der letzte Teil von Dragana Buluts Trilogie über das Verhältnis von Emotion durch Technik. Nach Selbstoptimierung („Happyology“, 2018) und den Kräften hinter der Angst („Behind Fear“, 2022).

Konzept, Künstlerische Leitung, Choreographie, Performance: Dragana Bulut / Von und mit: Caroline Neill Alexander / Dramaturgie: Andrew Hardwidge / Musik, Sounddesign: Evelyn Saylor / Lichtdesign: Fabian Bleisch / Bühnenbild: Dragana Bulut, Jonas Maria Droste / Kostümdesign: Melisa Minca / Spezialist*innen Forschung: Dr. Yuefang Shou, Kate Devlin, Heinrich Mellmann / Produktionsleitung: Chris Wohlrab (TATWERK) / Assistenz: Beatrice Zanesco / Teaser: Mate Ugrin / Presse: Nora Gores