Cineasten findet man eigentlich im Kino. Dank Arne Krasting auch im Stadtbus. Krasting, der Begründer der Videobustour, lädt die Teilnehmer zu einer ganz besonderen Stadtführung ein. Arne Krasting, seit sechs Jahren bietest Du Videobustouren durch Berlin an. Du zeigst Filmausschnitte auf einem Fernsehmonitor und erzählst über die Entstehungsgeschichte der Filme. Schlägt da das Historikerherz höher oder bist Du einfach ein großer Filmfan?
Beides. In den Filmen spiegelt sich die Geschichte der Stadt wie in einem Brennglas. Man kann zumindest ältere Berlin-Filme kaum schauen, ohne den historischen Kontext mit zu sehen und zu denken. Die ständigen baulichen Veränderungen der Stadt seit fast hundert Jahren machen den Film ja auch automatisch zu einem Chronisten, zu einer Quelle der Entstehungszeit. Wenn man einen Film wie „Emil und die Detektive“ aus dem Jahr 1931 schaut, ist es eine spannende Detektivarbeit, Straßenzüge, Plätze und Sehenswürdigkeiten des alten Berlins zu identifizieren.
Sind die angebotenen Touren immer gleich?
Was mich am meisten freut, sind Gäste, die sich mit eigenen Filmerlebnissen einbringen. Einmal haben wir eine Tour für den Comedian Thomas Herrmanns gemacht. Und der kam mit einem Film, von dem ich noch nie gehört hatte vorher: „The Apple“, ein Science Fiction Musical, absoluter Trash, von der Kritik total verrissen, aber mit grandiosen Aufnahmen von den Innenräumen des ICC! Solche Entdeckungen machen riesigen Spaß. Letztes Jahr durften wir die Pressetour für die Weltpremiere von „Tribute von Panem – Mocking Jay 2“ machen, mit dem Produktionsteam, das war eine tolle Erfahrung.
James Bond fährt in die falsche Himmelrichtung, kommt aber am richtigen Ort an und Lola rennt eine Route, die zeitlich gar nicht möglich wäre…
Klar, Film ist Illusion. Abgesehen von dem recht freien Umgang mit Stadtplänen werden ja auch immer wieder künstliche Welten kreiert. Dazu gehören dann auch faszinierende Zeitreisen in die Zukunft. Immer wieder steht Berlin Pate für Zukunftsvisionen – ob in „Die Tribute von Panem“ oder noch beeindruckender in dem Film „Aeon Flux“, wo wir uns im Jahr 2415 befinden und Berlin für die Stadt Bregna steht – die übrigens, Ironie der Geschichte, von einer Mauer umgeben ist.
Welche Eigenschaften muss ein Film besitzen, um in die Tour aufgenommen zu werden?
Für uns muss der Film auf der Tour funktionieren, aber es gibt jetzt keinen Kriterienkatalog. Manchmal ist die Filmszene einfach lustig, manchmal der Drehort überraschend, manchmal die Hintergrundstory faszinierend. Im besten Fall kommt alles zusammen. Wir probieren das aber häufig aus bei den Touren und es kann schon mal sein, dass wir Filme wieder aus der Tour rausnehmen.
Du bietest auch Sonderführungen an, zum Beispiel die „Berlinale-Filmtour“ mit Filmen mit Bezug zur Berlinale.
Ja. Auch einer der erfolgreichsten deutschen Filme, „Das Leben der Anderen“ hat seine Berlinale-Story: Die Berlinale wollte dem Film nur einen Platz im „Panorama“ zugesehen, nicht im Wettbewerb. Darauf hat der Regisseur Florian Henkel von Donnersmarck dankend verzichtet. Der Rest ist bekannt…der Film hat einen Preis nach dem anderen abgesahnt.
Du sprichst auch über Sebastian Schippers One-Take-Wonder „Victoria“. Welche skurrilen Fakten gibt es darüber?
Naja, schon die Geschichte mit einer einzigen Kameraeinstellung ist verrückt genug, wenn man sich vorstellt, was das alles bedeutet. Eine Meisterleistung, vor allem vom Kameramann Sturla Brandth Grøvlen. Viele Besucher des Films wollten übrigens unbedingt in den Club, wo Victoria die Jungs kennenlernt. So ein ehrlicher Keller-Elektroschuppen. Aber den gibt es natürlich nicht. In dem Keller ist nur ein Getränkelager…
„Viele Besucher des Films wollten übrigens unbedingt in den Club, wo Victoria die Jungs kennenlernt. So ein ehrlicher Keller-Elektroschuppen. Aber den gibt es natürlich nicht. In dem Keller ist nur ein Getränkelager…“ (Arne Krasting)
Und welche Filme kommen noch in der Videobustour vor?
Weitere Berlin-Filme, die in den letzten Jahren auf der Berlinale waren, sind Unknown Identity, Don2 oder Monuments men. Aber natürlich werde ich jetzt nicht alle Filme nennen. Jährlich zum Filmfestival „Achtung Berlin“ präsentieren wir übrigens auch Berlin-Filme – die vielleicht auch eine große Zukunft vor sich haben.
Was bedeutet die Berlinale für Dich?
Gott sei Dank jedes Jahr noch Filme gucken. Die Zeit nehme ich mir. Es ist einfach ein filmischer Ausnahmezustand, der einmal im Jahr ist: Tolle Momente, tolle Begegnungen und immer wieder schöne Filmerlebnisse. Und natürlich sprechen wir auch mit Filmkommissionen anderer Bundesländer, aber auch mit der Kommission in Österreich.
Du bist ja nicht nur in Deutschland und Österreich aktiv, sondern auch in Santiago de Chile. Das ist nicht gerade der nächste Weg…
… und auch nicht die klassische Sightseeing-Metropole. Das ist eigentlich ein lustiger Zufall. Ein Berliner Guide, der mit uns das Konzept entwickelt hat, ging aus privaten Gründen nach Santiago de Chile. Dort überlegte er, was er machen kann. Dann kam der Gedanke: „Mach ich doch das, was ich vorher in Berlin gemacht habe und entwickle eine historische Tour.“ Es ist schön, das im Programm zu haben.
Du bezeichnest Film als „Brennglas der Stadtgeschichte“ und selbst Historiker. Was war Dein größter Stolz?
Krasting: Wir suchten nach einem Film, in dem der Reichstag zu sehen ist, allerdings ist der Reichstag als Drehort tabu. Es ist einfach ein politisches Gebäude, das nicht zweckentfremdet werden kann. Dann kramten wir in den Archiven und fanden den Krimi „Die Spur führt nach Berlin“ aus dem Jahr 1952 rund um eine Hehlerbande. Das große Finale ist in Berlin und zwar in und auf dem Reichstag – ein Gebäude was noch völlig von den Kriegsschäden gezeichnet war, bevor die Kuppel abgerissen wurde.
Stichwort Werbung: Es gibt sicherlich einige Filmfirmen, die sich an Sie wenden. Sagst Du zu allem „ja“?
Beim Release von neuen Filmen fragen uns Agenturen an, ob nicht eine gemeinsame Aktion möglich wäre. Das war bei dem Film „Hilde“ mit Heike Makatsch, der komplett in Berlin gedreht wurde, der Fall oder bei „Don 2“, dem Bollywoodfilm mit Shah Rukh Khan, der letztes Jahr ins Kino kam.
„Da kann selbst eine absolute Gurke wie „In 80 Tagen um die Welt“ ein Schatz werden.“
(Arne Krasting)
„Don 2“ gehört nicht zu meinen filmischen Lieblingen. Es ist kein Film, der einen Platz in der Filmgeschichte behalten wird, aber unser Ansatz ist eigentlich ein anderer: Wie wird die Stadt dargestellt? Da kann selbst eine absolute Gurke wie „In 80 Tagen um die Welt“ ein Schatz werden, weil er die Stadt auf eine ganz faszinierende Art und Weise nutzt. Berlin wird darin als Double für Paris oder London verwendet, und Potsdam wird kurzerhand zu Istanbul gemacht. Das macht den sonst nicht so wertvollen Film für unsere Tour bedeutend.
Weitere Informationen
Die Berlinale-Sondertour findet am 20. und 21. Februar 2015 um 13.30 Uhr für 22,50 Euro, ermäßigt 18,50 Euro, statt. Andere Video-Bustouren sind unter anderem „Filmstadt Berlin – Das rollende Kino“, „Berlin – Hauptstadt des Verbrechens“ und „Zeitreise durch Berlin – Die Überblickstour“. Individuelle Touren auf deutsch, englisch, französisch, italienisch, spanisch, portugiesisch, schwedisch und norwegisch sind möglich.
Den Videobus gibt`s auch in Potsdam, München, Leipzig, Köln, Hamburg, Dresden, Wien und Santiago de Chile.