Erst war Rita Mazza Schauspieler:in, dann entdeckte Mazza den Tanz für sich. Ein Gespräch über neue Möglichkeiten, sich auszudrücken und die Rolle von Gebärden in der Performance „The Voice“.
Beim Tanz drückt man sich wie in der Gebärdensprache mit dem Körper aus. Als Kurator:in des Festival del Silenzio hattest Du 2018 die Möglichkeit, auch die Erzählform des Tanzes wahrzunehmen. Wie war das für Dich?
Vorher war die Tanzwelt weit entfernt von mir. Als Kurator:in konnte ich verschiedene Stücke mit ganz viel Tanz und Körperarbeit auswählen, die für hörendes und Taubes Publikum* zugänglich sind. Davor warn die Stücke entweder für Taubes oder für hörendes Publikum gedacht. Die lautsprachliche Theaterwelt ist voller Barrieren für Taubes Publikum. Die Tanzwelt stellt für mich die Möglichkeit dar, Zuschauende einzuladen und meine Sprache in die Tanzwelt integrieren. Das hat mich inspiriert.
Im Rahmen des Netzwerkprojektes „Making a Difference“ hast Du Dich 2020 für eine vierwöchige Forschungsresidenz beworben, um die Gemeinsamkeiten von Tanz und Gebärdensprache herauszuarbeiten. Was waren die Ergebnisse?
Tanz und Gebärdensprache beschäftigen sich beide mit Raum und Bewegung. In meinen bisherigen Arbeiten habe ich Regularien oder Parameter aus der Gebärdensprache verwendet, mich aber von dem sprachlichen Aspekt entfernt und eine Tanzversion mit Hilfe von Gebärden und deren Gesetzen geschaffen. Ich nutze eine Bewegung als Ausgangspunkt und vertiefe sie.
„Ich nutze eine Bewegung als Ausgangspunkt und vertiefe sie“
Es gibt eine kreative Form der Gebärdensprache: Visual Vernacular (VV). Nutzt Du das auch bei der Performance von The Voice?
Überhaupt nicht. Ich habe meine eigene poetische Form gefunden.
Fühlt sich „The Voice“ unterschiedlich an, je nachdem ob man Gebärdensprache versteht bzw. nicht versteht?
Das war auch eine Frage, die ich den ganzen Arbeitsprozess über im Hinterkopf hatte. In Stücken aus der Vergangenheit habe ich Gebärdensprache immer eingebaut. Dieses Mal gibt es Untertitel und Aurelia dolmetscht auf der Bühne in deutsche Gebärdensprache. Wenn eine Person im Publikum Gebärdensprachkompetenz mitbringt, wird sie vielleicht auch Gebärden in einzelnen meiner Bewegungen wiedererkennen; zum Beispiel, wenn ich mit meinen Händen Atmung visualisiere. Ich experimentiere damit und führe sie an ganz verschiedenen Orten meines Körpers aus – am Knie, an den Schultern, am Kopf und um meinen Rumpf herum.
„In Stücken aus der Vergangenheit habe ich Gebärdensprache immer eingebaut“
Bist Du allein auf der Bühne?
Ja. Wir arbeiten aber insgesamt sehr visuell und nutzen Licht als Reflexion und eine Videoanimation. Diese Lichtelemente sind ganz zentral in dem Stück. Sie ergänzen mich. An einer Stelle bewege ich die Folie mit meinem Körper oder meinem Atem. Obwohl es eine Soloperformance ist, habe ich durch all diese Ebenen nicht das Gefühl, dass ich allein auf der Bühne stehe.
Hier gehts zu Teil 1 des Interviews „Es kann jederzeit kippen“
Weitere Informationen
„The Voice“ wurde von 28. bis 30. August 2024 im Rahmen von „Tanz im August“ in den Sophiensaelen gezeigt.
Lichtdesign: Raquel Rosildete, Bühnenbild & Video: Camille Lacadee, Dramaturgie & künstlerische Mitarbeit Barrierefreiheit: Noa Winter, Sophie Guisset, Kostümbild & Animationsgrafik: Evan Loxton, Beratung zu Bewegungsqualität & Choreografie: Gabriel Galindez Cruz, Kollaboration Tanz & Choreografie: Maria Giulia Serantoni, DGS-Performer:in: Aurelia Schäfer, Audiodeskription & Tastführung: Ari Althaus, Johanna Krins, Gina Jeske
Über Rita Mazza
Rita Mazza (sie/they) ist eine freischaffende Künstler:in in Berlin, die als künstlerische Leiter:in, Kurator:in und Performer:in mit visuellen Gebärden(sprach)performances arbeitet.
2018 Mazza sie als künstlerische Leiter:in des Festival del Silenzio, einem internationalen Performing Arts Event mit Schwerpunkt Gebärdensprache und Gehörlosenkunst. 2020 erforschte Rita Mazza im Rahmen einer vierwöchigen Forschungsresidenz („Making a Difference“) an den Uferstudios die Gemeinsamkeiten von Tanz und Gebärdensprache. Auf die daraus hervorgehende Solo-Arbeit „Dandelion II“ folgte das Visual-Sign-Performance-Projekt „Space 1880″ zusammen mit Anne Zander. „Matters of Rhythm“ (2023) wurde 2024 zur Tanzplattform Deutschland eingeladen, wo alle zwei Jahre aktuelle Entwicklungen und Strömungen des zeitgenössischen Tanzes vorgestellt werden.
*Taub mit großem T ist eine politische Selbstbezeichnung und grenzt sich von der medizinischen Bezeichnung „taub“ ab.