Tanz im August 2024: In Zeitlupe

Viktor Szeri. Fatigue. Copyright: János R. Szabó
Viktor Szeri. Fatigue. Copyright: János R. Szabó

Höher, schneller, weiter – bis zum Burnout. Viktor Szeri macht in „Fatigue“ langsam und unaufhaltsam weiter. Auch Choreograph Alessandro Sciarroni nutzt Bewegungen in Zeitlupe. Er kreiert mit Hilfe von sieben Performenden und Klavierklängen ein somnambules Universum in sakraler Atmosphäre. Szeri hingegen setzt auf pochenden Clubsound und starke Schattenspiele, Stroboskoplicht und Visuals in einem dunklen Raum.

Als würden seine Schatten ihn festhalten

Der weiße Tanzboden verlängert sich hinter dem dunkel gekleideten Viktor Szeri nach oben. Szeris Beine scheinen im Boden verwurzelt zu sein, während Szeris Schatten sich nach allen vier Seiten ausdehnt, als würde er ihn im immer dunkler werdenden Raum festhalten wollen. Szeri wird seinen Platz erst am Ende wieder verlassen.

Ein starkes Solo

Der Performer bewegt sich unaufhörlich in Zeitlupe. Erst seine Finger und seine Arme, dann kommen seine Hüfte und schließlich seine Beine hinzu. Die Beine sind schwer, die Musik hart und laut. Manchmal erkennt man verzerrte Popsongs wie Ed Sheerans „Shape of You“ in einer Clubversion. Dann wiederum klingt es, als würde der Sound einer Fabrikhalle entspringen. Viktor Szeri tanzt weiter – auch als die Tanzfläche von einer Feuersbrunst ergriffen wird und auch der Boden zu brennen scheint.

„Fatigue“ in den Sophiensaelen ist ein starkes Solo über Einsamkeit, Erschöpfung und die Selbst-Lüge die mit einem Burnout einhergeht.

Begegnungen wie im Traum

Alessandro Sciarroni hingegen bedient sich in der fünfstündigen Performance „Dream“ der Langsamkeit, um ein ganz eigenes Universum zu kreieren. Dabei lädt er das Publikum in der St. Elisabeth-Kirche ein, so lange zu verweilen, wie es möchte und sich wie die sieben Performenden, allesamt in kurzen grauen Hosen oder Rücken und schwarzen T-Shirts zu schwarzen Schuhen oder Stiefeln, frei im Raum zu bewegen.

Immer wieder suchen sie Bezugspersonen, mit denen sich ihre Blicke kreuzen und deren Gesten und Handlungen sie erforschen können.

Jenseits von Zeit und Hektik

Auf einem Klavier in der Mitte des Raumes spielt András Molnár Johann Sebastian Bachs „Concerto in D Minor, BWV 974 – 2. Adagio“, während behutsame Annäherungen stattfinden. All das wirkt meditativ.

Sciarroni, der in der Beschreibung von „Dream“ über eine neuen Welt spricht, in der sich die Menschheit bewusst für ihr Aussterben entscheidet, erschafft durch wenige, einfache Bewegungen und Klavierklänge eine traumhafte Sequenz jenseits von Zeit und Hektik. Dabei ist es dem Publikum selbst überlassen, die Performance zu beobachten, Teil von ihr zu werden oder wie in einer Ausstellung umherzuwandern. Diese Freiheit spürt man.

Weitere Informationen

Viktor Szeris „Fatigue“ wurde von 27. bis 29. August in den Sophiensaelen gezeigt. Choreografie und Performance: Viktor Szeri. Musik: András Molnár. Video: Tamás Páll. Lichtdesign: Ferenc Payer. Außerdem fand Alessandro Sciarronis „Dream“ am 24. und 25. August in der St. Elisabeth-Kirche statt. Mit: Marta Ciappina, Elena Giannotti, Valerio Sirna, Edoardo Mozzanega, Pere Jou, Michele Ermini, Circe Poyet und Maxime Roi-Sans-Sac. Pianist: Davide Finotti.

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