Nicht gleich hysterisch werden!

Dietrich Brüggemann. Copyright: Zora Rux

„Es heißt nicht Nazis, sondern Neonazis!“ korrigiert Regisseur Dietrich Brüggemann in seinem Blog die Kritiker seiner Neonazi-Groteske HEIL. Die Diskussion kreist um ein Thema: Darf man über Neonazis lachen? Sollten wir uns nicht um unsere Demokratie sorgen? Ein Interview und eine Minikritik. 

Kurz der Inhalt: Ein Afrodeutscher verliert sein Gedächtnis und wird zur Talkshow-Marionette von rechtschreibschwachen Neonazis. Mit Panzer rücken die Neonazis schließlich in Polen ein.  Die hochschwangere Freundin reist ihrem afrodeutschem Freund mit einem Polizisten hinterher, der als einziger wirklich etwas gegen die Neonazis unternehmen möchte. Ein Reporter ist auf dem Weg nach der perfekten Story, die Antifa demonstriert scheinbar um der Demonstrationswillen und der Verfassungsschutz mischt sich überall ein.

Herr Brüggemann, warum zeigen Sie Deutschland als ein Land von Wahnsinnigen?

Brüggemann: Weil es mir fällig erschien. Der Anlass war der NSU-Komplex, wo man wirklich den Eindruck hatte, dass Deutschland aus Idioten besteht. Mir ist einfach sehr viel aufgefallen, dass Leute gerade beim Thema Nazis innerlich strammstehen und auf keinen Fall etwas falsch machen wollen und auf eine schräge Art immer noch an dieser Nazizeit hängen – wie mit so einer Nabelschnur.

Was meinen Sie damit?

Brüggemann: Wir sind wie so `ne Großfamilie. Wir sind die vierte Generation. Wir kennen uns dann alle nicht mehr untereinander, aber eine Gemeinsamkeit haben wir: diesen bösen Urgroßvater. Das ist für uns alle Adolf Hitler. Die ganze deutsche Geschichte läuft so konzentrisch auf diese Nazizeit zu und danach wieder auseinander. Es ist irgendwie auch ein stückweit die deutsche Krankheit alles dazu in Bezug zu setzen. Man kann sich da total wahnsinnig machen, man hat aber vielleicht auch die Pflicht es zu tun. Man steht dieser Zeit auch hilflos gegenüber. Da verstummt jede logische jede rationale Auseinandersetzung, wenn man sich mal anschaut, was da passiert ist. Da kann man nur noch sein Haupt verhüllen und schweigen.

Das Grauen haben Sie als Anlass für eine Groteske über Neonazis genommen?

Brüggemann: Für einen Komödianten ist es einfach ein unglaublich reiches Betätigungsfeld bei dem man natürlich durchaus die ganze Zeit das Grauen mitdenken muss, wobei ich auch sagen muss: Der Film spielt auch bewusst im Hier und Jetzt. Er handelt von uns und unserem Umgang mit unserer eigenen Vergangenheit, unserem Land und mit uns selbst.

Sie machen Nazis zu V-Männern des Verfassungsschutzes, aber letztlich machen die doch was sie wollen und tanzen dem Verfassungsschutz auf der Nase herum. Ein mutiges Statement!

Brüggemann: Wir machen uns in Deutschland sowieso eigentlich selten lustig über Autoritätsfiguren und staatliche Organe. Deutscher Humor lacht nach unten. „Stromberg“ macht sich halt über arme Opfer einer Büroangestelltenhölle lustig, aber nicht über die Chefs, die die Firma leiten, sondern auch so einen kleinen Abteilungsleiter. Es erscheint mir typisch für den deutschen Humor, dass wir eher weniger gegen Autoritäten lachen.

Dietrich Brüggemann. Copyright: Pete Rauhut

Darf man Witze über alles machen oder wird das dann zensiert?

Brüggemann: Wir sind auf erstaunlich wenig Widerstand gestoßen, wobei mir ein gewisser guter Geschmack nicht egal ist. Der Film macht sich jetzt auch nur lustig über Sachen, die Leute aus freier Entscheidung tun. Hautfarbe und Körperbau und so sind für mich kein geeignetes Witzgelände. Das hat man sich nicht ausgesucht.

„HEIL“ ist auch eine Mediensatire. Die Geschichte beginnt mit einem Journalisten, der nach Prittwitz fährt, um über die Neonaziszene zu berichten, aber so richtig neutral ist er nicht.

Brüggemann: Der Journalist rennt die ganze Zeit gegen Wände, weil er es nicht schafft, seinem Chef gegenüber das sensationelle Bild vom Neonazi abzuliefern, um das er sich verzweifelt bemüht. Er findet so ein „Wheit Pauer“ – Graffito (Anm. d. Red.: Der Neonazi wollte eigentlich „White Power“ schreiben) und eine liegengelassene Spraydose und malt das Hakenkreuz also selber dazu. Er selbst stellt das Bild, das er von den Nazis abliefern möchte, selbst her.

Warum üben Sie so massiv Kritik?

Brüggemann: Die Sachen, über die sich der Film lustig macht, haben natürlich eine gewisse Relevanz. Also die Medien mit ihrer Neigung zur Skandalisierung und zur Hysterie und zur größtmöglichen Aufmerksamkeitserzeugung haben zum Beispiel essentiell etwas damit zu tun, dass und wie PEGIDA entstanden ist: Das war nicht von ungefähr in Dresden, wo es gar keine Muslime gibt. PEGIDA-Demonstranten kennen das nur aus den Medien! Wir aus Kreuzberg-Neukölln kennen das aus täglicher Anschauung, da gibt es manchmal Reibereien und es gibt auch eine arabische Mafia in Neukölln, aber das ist auch in der arabischen Community eine kleine Minderheit. Da muss man nicht gleich hysterisch werden!

Ist HEIL vielleicht auch ein Seitenhieb gegen Demokratie in Deutschland?

Brüggemann: Nein, sondern gegen die Schwundform der Demokratie. Nämlich diese ritualisierte öffentliche Debatte, bei der erstens nicht mehr wirklich Gedanken ausgetauscht oder geformt werden, sondern nur noch vorfabrizierte Statements um die Ohren gehauen werden und zweitens auch keinerlei Bereitschaft da ist, sich akzeptierend mit dem Standpunkt eines anderen auseinanderzusetzen. Das scheint mir mehr und mehr zu Gunsten von so einem unkultivierten aufeinander eindreschen verloren zu gehen. Währenddessen koppelt die Politik sich mehr und mehr von der demokratischen Willensbildung ab, folgt vermeintlich neutralem Expertenwissen und den scheinbaren Sachzwängen der neoliberalen Weltwirtschaft.

Das Interview ist am 16. Juli 2015 im Feuilleton von neues deutschland erschienen.

Sven Stanislawski (Benno Fürmann) zieht mit seinen Jungs Johnny (Jacob Matschenz) und Kalle (Daniel Zillmann) in den Kampf © X-Verleih

Sven Stanislawski (Benno Fürmann) zieht mit seinen Jungs Johnny (Jacob Matschenz) und Kalle (Daniel Zillmann) in den Kampf © X-Verleih.

Zusatz: 

am 17. und 20. Juli bemängelte Dietrich Brüggemann, der selbst jahrelang als Filmkritiker arbeitete, in seinem Blog die Oberflächlichkeit der Besprechungen. Er nennt es die Kritik der Kritik:

„Nie ein Wort zu den Schauspielern, zur Ästhetik, zu Kamera und Schnitt, zur Musik, zum audiovisuellen Gesamteindruck. Es geht immer nur um das, was nacherzählt werden kann. Finde ich schade, war aber zu erwarten, das Thema selbst macht in den Köpfen alles andere platt.“

Ja, das ist richtig. Als ich den Film das erste Mal sah, wurde ich überrollt von all den Bildzitaten, Wahrheiten und schnellen Schnitten, beim zweiten Mal wurde das Bild klarer. Den roten Faden bilden die Neonazis nur auf den ersten Blick. Bei genauer Analyse ist es die Suche der verliebten Freundin, die ihren farbigen Freund gemeinsam mit einem Polizisten sucht. Oder besser: unsere gemeinsame Vergangenheit und Gegenwart, die uns dieser Film immer wieder vor Augen hält. Und schon wander auch ich wieder zur Handlung. Ja, HEIL ist nicht fassbar, vielleicht auch weil Brüggemann die von ihm komponierte Filmmusik nicht einfach begleitend einsetzt, sondern auch mittendrin unterbricht, um in eine andere Szene zu zappen. Der Untertitel des Films warnt vor. HEIL ist eine „aufregende Reise durch ein aufgeregtes Land“.  Ein kritischer Blick auf Deutschland. Natürlich ist es Kino und natürlich übertreibt Brüggemann, aber mal ehrlich: Hätte Brüggemann nicht so maßlos übertrieben, wie viele Leute hätten sich den Film angesehen?

Mehr zu HEIL: Meine Kritik in Form eines Kulturchats mit dem Soundfile zum Interview und eine Audiocomedy zu HEIL