FIND 2022: Identitäten

Marcus Lindeen "L`Aventure Invisible" beim FIND 2022. Copyright: Marco Bresadola
Schaubühne am Lehniner Platz Berlin 'FIND - Festival Internationale Neue Dramatik 2022'. 'L'AVENTURE INVISIBLE' von Marcus Lindeen. Musik und Sounddesign: Hans Appelqvist, Bühne: Mathieu Lorry­-Dupuy, Licht: Diane Guérin, Filme: Sarah Pucill. Mit: Tom Menanteau, Franky Gogo, Isabelle Girard

Bereits 2016 begeisterte Marcus Lindeen mit „Wild Minds“ beim FIND. Dieses Jahr ist Lindeen mit „L’Aventure invisible“ zurück. Er erzählt die Geschichte interessanter Persönlichkeiten aus dem wahren Leben. Wie vor sechs Jahren arbeitet er mit Wortlaut-Theater.

Im Anatomietheater

Die Performer* hören Interviews der jeweiligen Protagonisten und geben sie gleichzeitig wieder. In vier Akten stellt Lindeen spannende Identitätsfragen. Doch leider fällt eine Geschichte aus der Reihe und so wirkt berührt die Performance weniger als man vermuten mag.

Das Publikum nimmt in einem Anatomischen Theater Platz. Neben ihm sitzen die Performer* mit Kopfhörern im innersten Kreis. Jedes Wort, das sie sprechen, ist das Wort einer anderen Person.

Der Mann mit den drei Gesichtern

Von klein auf leidet Jerôme Hamon (Tom Mentenau) unter einer Krankheit, die sein Gesicht deformiert. Im Laufe seines Lebens bekommt er zwei Gesichtstransplantationen. Eine geschieht 2010, die andere 2018. Hamon wird später der „Mann mit den drei Gesichtern“ genannt.

Er beschreibt seine Gefühllosigkeit gegenüber des neuen Gesichtes. Er genoss es aber auch, endlich in der Menge „unsichtbar“ zu sein. Hamon spricht über Ängste vor den Operationen und seine Hoffnungen.

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L`Aventure Invisible beim FIND 2022, die Performerin von Sarah Pucill wurde
bei der FIND-Premiere durch Isabelle Girard ausgetauscht

Die Frau, die ihre Erinnerungen verlor

Ein anderer Schwerpunkt liegt auf Jill Bolte Taylor (Isabelle Girard). Man erfährt, wie sie mit 37 Jahren einen Schlaganfall erleidet und all ihre Erinnerungen verliert. Betrachtet sie alte Fotos, dann sieht sie eine fremde Frau. Für sie wirkt das wie aus einem anderen Leben.

Später erzählt sie, wie sie sich ihr erstes Mal beschreiben ließ. Aber das könne doch auch komplett gelogen sein, merkt einer der beiden im Gespräch an. „Das schon“, aber „so habe ich eine Erinnerung an mein erstes Mal,“ bemerkt Girard augenzwinkernd. Unweigerlich schmunzelt man.

Die Frau, die ein anderes Leben kopierte

Als Verbindungsglied zwischen den vier Akten dienen Fotos und Filme von Sarah Pucill (Franky Gogo), die Fotos der nicht binären Künstlerin Claude Cahun nachstellte. Cahuns Kunst wurde für Pucill zum identitätsstiftenden Lebenselixier.

Im Laufe des Stückes tauschen die Performer* so oft die Plätze, bis am Ende jeder an der Stelle des anderen saß. Das ist nicht nur symbolisch gesehen sehr schlau. Wie die Performier* routieren auch die Geschichten, bis sich die Gedanken der Performer* ineinander verweben.

Woran macht sich Identität fest?

Ganz gleich wie unterschiedlich die Geschichten sind, letztlich stellt sich jede/r ähnliche Fragen: Was macht die eigene Identität aus? Sind es meine Gedanken? Oder mein Körper? Mein Aussehen? Welche Rolle spielt mein bisheriges Leben und damit verbundene Erinnerungen?

Im Publikumsgespräch erklärt Lindeen, wie ihn Cahun unter anderem mit dem Werk „L’Aventure invisible“ faszinierte und in den Bann zog. Diese Faszination bleibt dem Zuschauer* bei „L`Aventure invisible“ leider verwehrt. Die Einzelschicksale hingegen werden sehr lange berühren.

Weitere Informationen

„L‘ Aventure invisible“. Regie: Marcus Lindeen. Künstlerische Mitarbeit, Dramaturgie, Übersetzung: Marianne Ségol-Samoy, Mit: Tom Menanteau, Franky Gogo, Isabelle Girard, Musik und Sounddesign: Hans Appelqvist, Bühne: Mathieu Lorry-Dupuy, Licht: Diane Guérin, Filme: Sarah Pucill.

Marcus Lindeens „L`Aventure invisible“ wurde am 5. und 6. April beim FIND 2022 in der Schaubühne gezeigt. Rückblickend benennt Marcus Lindeen „L`Aventure invisible“ als dritten Teil einer Trilogie der Identitäten. Teil 1: „Regretters“, 2008 beim FIND als szenische Lesung zu Gast, widmet sich zwei Menschen, die sich zwei Mal einer Geschlechtsumwandlung unterziehen. Teil 2: „Wild Minds“ (FIND 2016) war eine Art Therapiekreis für Tagträumer. Beim „Festival d`Automne a Paris“ zeigt Lindeen alle drei Performances.

Weitere FIND-Kritiken: Sarah Kohm „Erinnerung eines Mädchens“, Robert Lepage „887“